Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine gemeinsame elterliche Sorge zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge bei nachhaltigen und schwerwiegenden Kommunikationsstörungen der Eltern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Schwerwiegende und nachhaltige Kommunikationsstörungen der Eltern, die nicht nur auf einer grundlosen einseitigen Verweigerungshaltung eines Elternteils beruhen, stehen der Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge in der Regel entgegen.

2. Eine unzureichende Information über Belange des Kindes rechtfertigt nicht die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Vielmehr ist der Informationsanspruch des nicht sorgeberechtigten Elternteils gesondert in § 1686 BGB geregelt (wie OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.04.2020, 13 UF 101/19).

3. Die gemeinsame elterliche Sorge ist kein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern und zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge eines Elternteils.

4. Ein Verfahrensbeistand ist nicht gehalten, sich im Rahmen seiner Stellungnahme neutral gegenüber den Eltern zu verhalten, sondern gefordert, im Interesse des Kindes Position zu beziehen. Es gehört nicht zu seinen Aufgaben, Ermittlungen anzustellen, um die ihm gegenüber getätigten Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.

 

Normenkette

BGB §§ 1626a, 1686; FamFG § 158

 

Verfahrensgang

AG Wolfenbüttel (Aktenzeichen 20 F 1171/20)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wolfenbüttel vom 16.06.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kindesvater zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

II. Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

III. Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

 

Gründe

I. Das Verfahren betrifft die elterliche Sorge für den derzeit dreijährigen J. V. C. Durch den Beschluss des Amtsgerichts H. vom 29.06.2020 wurde auf Antrag des Antragstellers festgestellt, dass er J. Vater ist. Die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sie haben jedoch langjährig in einer "On-off"-Beziehung gelebt, aus der ihre am 15.02.2013 geborene Tochter A. hervorgegangen ist. Die Beziehung endete im Januar 2019 während der Schwangerschaft der Mutter mit J.; A. und J. leben seitdem im Haushalt der Kindesmutter.

Wegen des Umgangs zwischen A. und dem Vater führten die Eltern beim Amtsgericht H. mehrere Verfahren. Schließlich verständigten sie sich dort in dem Verfahren zum Aktenzeichen 609 F 1843/19 UG am 27.08.2019 auf einen vierzehntägigen Wochenendumgang sowie einen zusätzlichen Umgang am Mittwochnachmittag. Am 01.10.2019 zog die Mutter mit den Kindern von H.-L. nach W. Die elterliche Sorge für A. wurde den Eltern durch den zum Aktenzeichen 10 UF 264/19 ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts C. vom 19.03.2020 gemeinsam übertragen, nachdem das Amtsgericht H. den entsprechenden Antrag des Vaters zunächst zurückgewiesen hatte. Wegen weiterer Einzelheiten zu den Lebensumständen des Kindes und der Eltern wird auf die Sachdarstellung in dem angefochtenen Beschluss vom 16.06.2021 Bezug genommen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Vater nun auch für J. die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf Regelung des Umgangs mit dem Kind gestellt. Das Umgangsverfahren wurde beim Amtsgericht Wolfenbüttel gesondert unter dem Aktenzeichen 20 F 1177/20 UG geführt.

Die Mutter steht einer gemeinsamen elterlichen Sorge ablehnend gegenüber und macht geltend, der Vater habe sie in der Vergangenheit immer wieder herabgesetzt, erheblich beleidigt und ihr ihre Erziehungsfähigkeit abgesprochen. Zudem fürchte sie sich vor seiner aufbrausenden Art. Im Hinblick auf A. sei es seit dem Beschluss des Oberlandesgerichts C. bereits zu Problemen bei der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge gekommen.

Die vom Amtsgericht bestellte Verfahrensbeiständin hat unter dem 03.12.2020 u.a. berichtet, beide Eltern hätten ihr gegenüber angegeben, zwischen ihnen finde keine Kommunikation statt. Auch Gespräche in der Erziehungsberatungsstelle hätten insoweit nicht zu einer Verbesserung geführt. Den Kurs "Kinder im Blick" habe der Vater nach zwei Terminen abgebrochen. Nach ihrer Einschätzung ergäben sich aus ihren Gesprächen mit den Eltern erhebliche wechselseitige Vorwürfe und ein sehr hohes Konfliktpotential. Eine Möglichkeit, wie die Kommunikation zwischen den Eltern verbessert werden könne, sehe sie nicht.

Der Vater hat den Bericht der Verfahrensbeiständin mit Schriftsatz vom 15.04.2021 als unqualifiziert moniert und zudem deren Entpflichtung beantragt.

Das Amtsgericht hat die Beteiligten persönlich angehört und die Angelegenheit mit ihnen im Termin am 02.06.2021 erörtert. Im Umgangsverfahren haben die Beteiligten sich an diesem Tag im Rahmen einer Zwischenvereinbarung auf eine Anbahnung von Kontakten zwischen J. und seinem Vater verstän...

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