Entscheidungsstichwort (Thema)

Anklage. Eröffnungsbeschluss. Urteil. Urteilsaufhebung. Schuldspruch. Schuldspruchänderung. Verschlechterung. Verschlechterungsverbot. Zurückverweisung. Geldstrafe. Revision. Sachrüge. Feststellungen. Sachverhalt. Täuschung. Vortäuschen. Berufsbezeichnung. Titel. Titelmissbrauch. Rechtsanwalt. Polizei. Anzeige. Anzeigeerstattung. Abhandenkommen. Diebstahl. Unterschlagung. Fundunterschlagung. Verlust. Gesamtbetrachtung. Unrechtsgehalt. Gepräge. Charakter. Charakterveränderung. Übertreibung. Vergröberung. Privatklagedelikt. Offizialdelikt. Vergehen. Verbrechen. Rechtsgut. Strafzweck. Tatzeit. Tatort. Begehungsweise. Ermittlung. Ermittlungsaufwand. Mehrermittlungen. Kognitionspflicht. Tat. Tatbegriff. Lebensauffassung. Lebensvorgang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für eine Strafbarkeit wegen Vortäuschens einer Straftat genügt es, wenn eine tatsächlich begangene Tat durch die Anzeige ein im Kern anderes Gepräge erhält, was aufgrund einer am geschützten Rechtsgut und dem Unrechtsgehalt orientierten Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Zu diesen zählt insbesondere auch, ob aufgrund der vorgetäuschten Tat gegenüber dem wahren Sachverhalt ein nicht unwesentlicher unnützer Ermittlungsaufwand betrieben worden ist (u.a. Anschl. an BGH, Urt. v. 15.04.2015 - 1 StR 337/14 = NStZ 2015, 514 = StraFo 2015, 299 = NZWiSt 2015, 427 = MMR 2015, 800 = StV 2016, 158).

2. Die Falschanzeige eines vermeintlichen Diebstahls anstelle einer tatsächlich erfolgten Fundunterschlagung erfüllt auch dann nicht notwendig die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der von dem Berechtigten bemerkte Verlust des fraglichen Gegenstandes zeitlich deutlich vor dem angeblichen Diebstahl und auch an einem anderen als dem angegebenen Ort erfolgt ist, aber weder aus den Urteilsfeststellungen noch sonst ersichtlich ist, dass die Ermittlungsbehörden wegen der vorgetäuschten Sachdarstellung zu unnötigen und aufwändigen (Mehr-)Ermittlungen veranlasst wurden.

3. Erfolgen im Rahmen der Falschanzeige nicht nur falsche Angaben zur angezeigten Tat, sondern auch zu den persönlichen Verhältnissen und begründen diese gegen den Anzeigeerstatter den Verdacht des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen (§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB), so gebietet es die tatrichterliche Kognitionspflicht, die lediglich wegen Vortäuschens einer Straftat (§ 145d StGB) erhobene und zugelassene Anklage ohne Rücksicht auf die in Anklage und Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung zu erschöpfen, d.h. die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat im prozessualen Sinne restlos nach allen tatsächlichen und denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten, mithin auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Berufsbezeichnungen aufzuklären und gegebenenfalls abzuurteilen (st.Rspr.; u.a. Anschl. an BGH, Urt. v. 16.11.2017 - 3 StR 83/17 = NStZ-RR 2018, 75; 08.11.2016 - 1 StR 492/15 = NStZ-RR 2017, 352 und 12.07.2016 - 1 StR 595/15 = StV 2017, 87 = wistra 2017, 66 = NStZ 2017, 167). Denn zur Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO) gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Lebensauffassung einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellt; darauf, dass bestimmte Umstände in der Anklageschrift keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben, kommt es deshalb nicht an.

 

Normenkette

StGB §§ 52-53, 132a Abs. 1 Nr. 2, § 145d Abs. 1 Nr. 1, §§ 164, 242, 246; StPO § 154a Abs. 1, 3, § 244 Abs. 2, § 264 Abs. 1, §§ 265, 337

 

Tenor

  • I.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 8. August 2017 aufgehoben,

  • II.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts vom 19.01.2017 wurde der Angeklagte wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt. Die hiergegen eingelegten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 08.08.2017 verworfen. Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 06.03.2018 beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Die Gegenerklärung der Verteidigung mit Schriftsatz vom 23.03.2018 lag dem Senat vor.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das vom Landgericht festgestellte Verhalten des Angeklagten den Straftatbestand des § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt und das Landgericht es unterlassen hat, zu prüfen, ob eine Verurteilung des Angeklagten wegen unbefugten Führens der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt nach § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erfolgen hat. Auf die zudem erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts tragen die zum Tatgescheh...

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