Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Augenblicksversagen bei durch Fußgängerampel ausgelösten 'Frühstart'

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Verwechslung der für den fließenden Verkehr maßgeblichen Lichtzeichenanlage mit dem Grünlicht der in gleiche Richtung führenden Fußgängerampel rechtfertigt regelmäßig nicht den Wegfall des wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes verwirkten Fahrverbots unter dem Gesichtspunkt eines sog. 'Augenblicksversagens'.

 

Normenkette

StVG § 24 Abs. 1; StVO § 49 Abs. 3; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 1 Abs. 1 Anlage Nr. 132.3; StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Missachtung des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage bei länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase gemäß § 24 I StVG i.V.m. §§ 37 II Nr. 1; 49 III Nr. 2 StVO zu einer Geldbuße von 400 € verurteilt; von dem im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße von 400 € angeordneten Fahrverbot von 1 Monat hat es demgegenüber abgesehen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das AG zu Unrecht von der Verhängung des gebotenen Regelfahrverbots abgesehen hat. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

 

Entscheidungsgründe

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und mit der Sachrüge zulässig begründete Rechtsbeschwerde der StA hat in der Sache Erfolg.

1. Gegen den Betr. war gemäß §§ 24, 25 I 1 [1. Alt.], 26a I Nr. 3, II StVG i.V.m. § 4 I 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 132.3 BKat neben einer Geldbuße von 200 € die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer 1 Monats wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel zu anzuordnen. Dies hat das AG auch nicht verkannt, jedoch von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes auf 400 € mit der Begründung abgesehen, zu Gunsten des Betr. sei von einem "Augenblicksversagen" auszugehen, wie es auch dem sorgfältigsten Kraftfahrer unterlaufen könne. In diesem Zusammenhang finden sich keine näheren Ausführungen dazu, worin der Tatrichter dieses "Augenblicksversagen" erkennen möchte.

2. Diese Erwägung ist schon deswegen nicht haltbar, weil das AG verabsäumt, die Umstände, aus denen es auf ein "Augenblicksversagen" schließt, überhaupt zu benennen. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils kann allenfalls gemutmaßt werden, dass der Tatrichter die von ihm angenommene Verwechselung des Rotlichts mit dem Grünlicht der in gleicher Richtung führenden Fußgängerampel insoweit als maßgeblich ansieht. Sollte dies vom AG so gemeint sein, wäre diese Einschätzung freilich gänzlich unhaltbar. Denn ein sog. Augenblicksversagen, welches ein Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigen würde, scheidet in Fällen grober Pflichtverletzung von vornherein aus (vgl. BGHSt 43, 241). Im Falle einer Verwechslung einer Fußgängerampel mit der für den fließenden Verkehr maßgeblichen Lichtzeichenanlage kann aber schlechterdings nur von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden. Denn es handelt sich bei der Verpflichtung zur Unterscheidung einer Fußgängerampel und der für den Kraftfahrer maßgeblichen Ampel um eine grundlegende, auch völlig einfach zu erfüllende Mindestanforderung, die ein Verkehrsteilnehmer in jeder Lage ohne weiteres bewältigen muss. Eine derartige Verwechslung lässt - wenn und soweit keine weiteren besonderen Umstände hinzutreten - nur den Schluss auf eine außerordentlich gravierende Pflichtverletzung des Betr. zu, bei der ein Absehen vom Regelfahrverbot nicht gerechtfertigt ist.

II. Nach alledem ist auf die Rechtsbeschwerde der StA das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mitsamt der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverwiesen (§ 353 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG).

III. Ergänzend bemerkt der Senat: Entgegen der Ausführungen der GenStA sind die Feststellungen des AG zum Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ausreichend. Es ist im angefochtenen Urteil hinreichend beschrieben, dass der Rotlichtverstoß zu einem Zeitpunkt begangen wurde, als das Rotlicht bereits länger als 1 Sekunde angedauert hatte. Dies genügt für einen qualifizierten Verstoß. Die Frage, ob die Beweiswürdigung der rechtlichen Nachprüfung standhält, stellt sich wegen der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch nicht, weil das Rechtsbeschwerdegericht in einem solchen Fall die Beweiswürdigung einer Überprüfung auf Rechtsfehler nicht zu unterziehen hat. [...]

 

Fundstellen

Haufe-Index 8765507

ZAP 2016, 59

NStZ-RR 2016, 57

NZV 2016, 243

NZV 2016, 6

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