Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Gehörsverstoß allein wegen Verweigerung der Rohmessdaten

 

Leitsatz (amtlich)

Durch die bloße Nichtüberlassung der nicht zu den Akten gelangten sog. Rohmessdaten einer standardisierten Messung i.S.d. Rspr. des BGH (BGHSt 39, 291; 43, 277) wird der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör von vornherein nicht beeinträchtigt (u.a. Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548); BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860; Aufrechterhaltung von OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 - 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337= StRR 2016, 16; entgegen OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 - 1 Ss OWi 96/16 [bei [...]]).

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; StPO § 344 Abs. 2 S. 2; GVG § 121 Abs. 2 Nr. 1; OWiG § 79 Abs. 3 S. 1, § 80 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Das AG hat den Betr. wegen einer als Führer eines Pkw auf einer Bundesstraße begangenen, mit dem Messgerät PoliScanspeed festgestellten fahrlässigen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betr. mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit welchem er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, weil ihm entgegen seinem Antrag die "Tuff-Datei der Messung mit zugehörigem Token und Passwort, sowie die Falldatei mit einer digitalen Signatur" nicht überlassen worden seien. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Da im angefochtenen Urteil lediglich eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt worden ist, darf die Rechtsbeschwerde nach § 80 I OWiG nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 80 I Nr. 2 OWiG) ist nicht gegeben.

a) Es kann dahinstehen, ob die insoweit erhobene Rüge überhaupt den formellen Anforderungen des § 344 II 2 StPO i.V.m. § 80 III 3 OWiG gerecht wird (vgl. zu diesem Erfordernis nur Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 80 Rn. 16a m.w.N.). Denn jedenfalls ist die Rüge unbegründet.

aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass durch die bloße Nichtüberlassung der Rohmessdaten, die sich nicht bei den Akten, sondern - wie hier - bei der Verwaltungsbehörde befinden, der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) von vornherein nicht beeinträchtigt wird (OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 - 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337 = StRR 2016, 16). Denn durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll garantiert werden, dass einer Entscheidung nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betr. Stellung nehmen konnte; einen Anspruch auf Aktenerweiterung vermittelt Art. 103 I GG dagegen nicht (OLG Bamberg a.a.O.; Cierniak ZfS 2012, 664, 670; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2, 4). Da das AG aber gem. § 261 StPO ausschließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betr. insoweit hinreichende Gelegenheit hatte, sich zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern, ist durch die Nichtüberlassung digitaler Messdateien und sonstiger Unterlagen, die das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung gerade nicht herangezogen hat, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegeben.

bb) Mit dieser Ansicht befindet sich der Senat im Einklang mit der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860). Das BVerfG (a.a.O.) führt insoweit aus, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwerte. Der Schutzbereich des Art. 103 I GG sei hingegen nicht berührt, wenn es um die Frage gehe, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen habe, weil es nicht Sinn und Zweck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs sei, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Der BGH (a.a.O.), der zum gleichen Ergebnis gelangt war, hat insbesondere hervorgehoben, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs sei nur das maßgeblich, was für das Urteil oder das Verfahren Bedeutung erlangt habe. Was darüber hinaus für die Sachentscheidung Bedeutung erlangen könnte, sei dagegen zunächst nur für die Frage der Aufklärungspflicht von Interesse.

b) Das Oberlandesgericht Celle (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 - 1 S...

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