vorläufig nicht rechtskräftig

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [VII R 69/10)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zurechnung der Kenntnis einer Behörde bei § 82 InsO

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der Leistende wird nach § 82 Satz 1 InsO von seiner Schuld befreit, wenn er zur Zeit der Kenntnis der Leistung an den Insolvenzschuldner die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte.
  2. Ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit führt dann nicht zur „Nichtkenntnis”, wenn das zuständig gewordene FA die Möglichkeit hatte, die Steuerakten bzw. die Vorgänge der Vorjahre einzusehen.
 

Normenkette

InsO § 80

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.07.2011; Aktenzeichen VII R 69/10)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt dazu verpflichtet ist, die an den Insolvenzschuldner bereits ausgekehrten Einkommensteuern 2003 und 2004 erneut, und zwar an den Kläger als im Verbraucherinsolvenzverfahrens bestellter Treuhänder über das Vermögen des Insolvenzschuldners, auszuzahlen.

Der Insolvenzschuldner ist ehemaliger Beamter. Er stellte einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht in K., verschwieg dabei jedoch erhebliches Immobilienvermögen. Der Steuerpflichtige wurde bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2001 vom Finanzamt L. veranlagt. Der Fall wurde dort als sogenannter aktenloser Arbeitnehmer-Vorgang geführt. Beim Finanzamt L. ging die Ausfertigung des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich des Insolvenzschuldners am 28. März 2002 bei der Vollstreckungsstelle ein. Anfang April 2002 leitete der zuständige Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle (Herr W.) den Vorgang an die dort für die Einkommensteuerfestsetzung zuständige Stelle weiter. Der Einkommensteuerbescheid für 2001 wies als Rechentermin den 25.02.2002 aus und lag bereits gedruckt vor. Laut Aktenvermerk des Herrn W. vom 12. April 2002 sei der Erstattungsbetrag insoweit an den Treuhänder auszuzahlen. Die Auszahlung konnte jedoch (offenbar) nicht mehr angehalten werden, da der Erstattungsbetrag zu diesem Zeitpunkt bereits angewiesen war.

Der Insolvenzschuldner verlegte seinen Wohnsitz in der Folge zunächst in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamts F. und später in den des Finanzamts C.. Die Einkommensteuererklärungen für 2002 bis 2004 gab er beim Finanzamt F. ab. In der Steuererklärung für 2002 wies er auf seine frühere Steuernummer beim Finanzamt L. hin, die auch mit der auf dem Einkommensteuerbescheid für 2001 angegebenen Steuernummer übereinstimmte.

Der Insolvenzschuldner hatte dem Kläger im Oktober 2002 mitgeteilt, nach B. verzogen zu sein; im Jahre 2003 schrieb er den Kläger erneut an, auf der Rückseite des Briefumschlages war eine Anschrift in K. angegeben. Der Kläger hatte insoweit das Insolvenzgericht nicht informiert; das Insolvenzgericht erlangte allerdings im Jahre 2003 Kenntnis von dem neuen Wohnsitz des Insolvenzschuldners in K. durch eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft K..

Das Finanzamt F. erließ Einkommensteuerbescheide auch für die Veranlagungszeiträume (VZ) 2003 und 2004, durch die Erstattungsansprüche zugunsten des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau ermittelt wurden (Bescheid vom 22.04.2004 für den Veranlagungszeitraum 2003 sowie vom 18.03.2005 für den Veranlagungszeitraum 2004). Es kehrte daraufhin 11.141,34 € auf das gemeinsame Konto der Eheleute bei der Sparkasse B. aus.

Der Kläger erhielt von der Auszahlung Kenntnis und forderte zunächst vom Insolvenzschuldner die vereinnahmten Beträge zurück. Der Insolvenzschuldner teilte mit Schreiben vom 29.06.2006 mit, dass er sich „viel in Polen aufhalte” und die Geldmittel nach und nach für Lebenshaltungskosten aufgebraucht habe.

Der Kläger verklagte die Ehefrau des Insolvenzschuldners auf Erstattung der vereinnahmten Einkommensteuern. Die Klage wurde vom Landgericht S. am 12.01.2007 rechtskräftig abgewiesen, da nach Auffassung des Landgerichts S. dem Kläger kein Erstattungsanspruch gegen die Ehefrau des Insolvenzschuldners zustehe.

Das Finanzamt F. teilte auf den Erstattungsantrag des Klägers durch Schreiben vom 29.05.2006 mit, dass die zu erstattenden Einkommensteuern auf bezahlte Lohnsteuer des Insolvenzschuldners zurückgegangen seien und sich der Erstattungsbetrag im Innenverhältnis der Eheleute ausschließlich auf ihn beziehe.

Der Kläger forderte vom Finanzamt C. die (nochmalige) Auszahlung der Erstattungsbeträge zur Einkommensteuer 2003 sowie 2004 nebst Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Dies lehnte das Finanzamt ab und erließ mit Datum vom 04.12.2007 einen Abrechnungsbescheid. In dem Abrechnungsbescheid führte das Finanzamt aus, dass eine Auszahlung der für das Jahr 2003 in Höhe von 7.173,95 € und für 2004 in Höhe von 1.702,14 € erstatteten Beträge weiterhin nicht in Betracht komme. Zum einen habe das Finanzamt F. keine Kenntnis von der Insolvenzeröffnung gehabt, außerdem widerspreche eine nochmalige Auszahlung dem Grundsatz von Treu und Glauben. Schließlich sei der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder gem. § 80 Insolvenzordnung (InsO) verfügungsbefugt über das Konto des...

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