Leitsatz

  1. Reaktivierung stillgelegter Kamine in Reihenhausanlage als zulässige Modernisierungsmaßnahme
  2. Großzügige Handhabung des Modernisierungsbegriffs auch im Wohnungseigentumsrecht
  3. Zusätzliche Befeuerung durch Kamine bzw. Kaminöfen als Wohnwerterhöhung
 

Normenkette

§ 22 Abs. 2 Satz 1 WEG

 

Kommentar

  1. Nach bestandskräftiger Beschlussfassung über die Stilllegung und Beseitigung von Schornsteinen in einer Reihenhausanlage im Zuge der Umstellung des Heizungssystems wünschten zuletzt wieder einige Eigentümer die Wiederinbetriebnahme bisheriger Schornsteine durch Gestattungsbeschluss nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG. Anfechtung hiergegen wurde im Revisionsverfahren vom BGH zurückgewiesen.
  2. Bei der durch Beschluss gestatteten Wiederherstellung der Schornsteine handelt es sich um eine bauliche Veränderung, die von den Eigentümern als Modernisierungsmaßnahme gemäß § 559 Abs. 1 BGB mit der hier auch erreichten qualifizierten Mehrheit nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG beschlossen werden konnte. Unter eine Modernisierung fallen Maßnahmen, die den Gebrauchswert der Sache nachhaltig erhöhen, die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessern oder nachhaltig Einsparungen von Energie oder Wasser bewirken. Vorliegend ist von einer solchen nachhaltigen Gebrauchswerterhöhung auszugehen. § 559 Abs. 1 BGB gibt zu einer großzügigen Handhabung des Modernisierungsbegriffs Anlass und räumt Eigentümern die Befugnis ein, mit qualifizierter Mehrheit einer Verkehrswertminderung durch Anpassung der Wohnanlage an die "Erfordernisse der Zeit" entgegenzuwirken. Es genügt deshalb, dass die Maßnahme aus Sicht eines verständigen Eigentümers eine sinnvolle Neuerung darstellt, die voraussichtlich geeignet ist, den Gebrauchswert der Sache nachhaltig zu erhöhen (so auch nach BT-Drs. 16/887 S. 30).
  3. Die gestattete Wiederherstellung der Schornsteine mit der Möglichkeit, einen Kamin oder Kaminofen zu befeuern, ist als sinnvolle Neuerung zu qualifizieren, da sie neben einer bereits vorhandenen Heizungsanlage eine weitere Heizmöglichkeit eröffnet, die je nach Bedarf oder Neigung zur Steigerung des Wohnkomforts oder zur Nutzung jeweils günstigerer Brennstoffe in Betrieb genommen werden kann. Dies gilt insbesondere in Zeiten, die durch eine zunehmende Verknappung fossiler Brennstoffe und im Übrigen auch eine tendenzielle Verteuerung der Energiekosten geprägt sind. Insoweit macht eine solche zusätzliche Beheizungsmöglichkeit Eigentümer unabhängiger und ermöglicht auch den Zugriff auf jeweils kostengünstigere Energieträger; damit werden Eigentumswohnungen auch wertattraktiver.
  4. Durch die beschlussgemäß gestattete Maßnahme wird auch die Eigenart der Wohnanlage nicht geändert; es kann auch nicht von einer sog. Luxussanierung gesprochen werden. Andere Eigentümer sind durch den Beschluss auch nicht unbillig beeinträchtigt. Im Gegensatz zu § 22 Abs. 1 WEG ist bei Modernisierungen nach Abs. 2 dieser Bestimmung von einer Ausweitung des Gestaltungsspielraums der Eigentümer auszugehen und damit auch von deren Duldungspflichten insbesondere im Fall erreichter qualifizierter Mehrheiten. Dabei liegt es auf der Hand, dass Umstände, die zwangsläufig mit der Modernisierung verbunden sind, für sich alleine nicht zur Bejahung eines unbilligen Nachteils führen können (vgl. auch Merle in Bärmann, WEG, § 22 Rn. 339; vgl. auch BT-Drs. 16/887 S. 29). Unbillig sein können nur darüber hinausgehende Nachteile, die bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der Modernisierung verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer aus Zumutbarkeitsgründen nicht abverlangt werden dürfen; solche Gründe wurden vorliegend klägerseits nicht aufgezeigt.

    Im vorliegenden Fall ist auch deshalb nicht von Unbilligkeit aus Gründen einer etwa treuwidrigen Ungleichbehandlung auszugehen, da es den Eigentümern freisteht, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Schornsteine wieder funktionstüchtig herzurichten.

  5. Soweit allerdings Eigentümern durch Beschluss aufgegeben wird, Schornsteine wiederherzustellen, ist der Beschluss nichtig. Eigentümern fehlt die Kompetenz, Leistungspflichten außerhalb des Bereichs gemeinschaftlicher Kosten und Lasten durch Mehrheitsbeschluss zu begründen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn es – wie hier – um die Rückgängigmachung einer baulichen Veränderung geht (vgl. BGH, Urteil v. 15.1.2010, NZM 2010 S. 285). Insoweit können Eigentümer lediglich darüber befinden, ob ein ihrer Meinung nach bestehender Anspruch (hier aus § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 BGB) auf die Gemeinschaft zur Ausübung übertragen werden soll (sog. Ansichziehen) und in welchem Umfang er gerichtlich geltend gemacht oder ggf. durchgesetzt werden soll (vgl. BGH, Urteil v. 18.6.2010, NJW 2010 S. 2801). Insoweit kann ein Beschluss nur mit diesem eingeschränkten Regelungsgehalt nach § 140 BGB aufrechterhalten werden; im Übrigen bleibt er nichtig.
  6. Nicht aufrechterhalten werden kann auch eine Annexregelung, wonach die Kosten der Wiederherstellung des Schornsteins von den Klägern zu tragen sind. Davon abgesehen lässt §...

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