Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. insulinpflichtiger Diabetes-mellitus. GdB-Feststellung nach der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der jeweiligen Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand oder die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) zu einer gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung des Behinderten kommen.

2. Der Wortlaut der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist in Teil B Nr. 15.1 "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" nicht nur therapiebezogen zu verstehen, auch wenn der nachfolgende Satz ("erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung") ein derartiges Verständnis nahe legt.

3. Diese engere Auslegung ist nach dem Wortlaut und der Systematik der Versorgungsmedizinischen Grundsätze geboten. Auch vermeidet sie kaum vertretbare Wertungswidersprüche im Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen bei anderen Erkrankungen anderer Funktionssysteme, für die ein GdB von 50 vergeben werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.10.2012; Aktenzeichen B 9 SB 2/12 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. März 2011 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben sich für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die 1954 geborene Klägerin beantragte am 20. April 2010 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) und begründete dies mit einem Diabetes mellitus Typ I. Der Beklagte zog einen Befundbericht der Internistin/Diabetologin Dr. K. vom 9. Juni 2010 bei, die angab: Bei der Klägerin sei erstmals Anfang März 2003 der Typ I Diabetes mellitus festgestellt worden, der eine sofortige Insulineinstellung erfordert habe. Zu Beginn habe der HbA1c-Wert 13,8 mmol/l betragen und liege seit der Insulineinstellung zwischen 5,2 bis 6,9 mmol/l. Begleiterkrankungen oder Folgeerkrankungen aus dieser Grunderkrankung seien nicht bekannt. Ab und zu träten leichte Hypoglykämien mit Gegenregulationen auf. Hypoglykämien, die Fremdhilfe erfordert hätten, seien dagegen noch nie aufgetreten.

Der Versorgungsarzt Dipl.-Med. K. wertete diesen Befund unter dem 21. Juni 2010 aus und sprach sich für einen Gesamt-GdB von 30 aus. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2010 den Gesamt-GdB ab dem 20. April 2010 mit 30 fest. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 15. August 2010, in dem sie ausführte: Sie habe einen erheblichen Therapieaufwand, der auch durch ihren Beruf als Verkäuferin im Außendienst (seit 1990) mit sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten sowie vielen Dienstreisen erklärbar sei. Dies führe dazu, dass sie etwa sechs bis acht Mal am Tag den Blutzucker messen und entsprechend Insulin spritzen müsse, wobei auch oft Korrekturen erforderlich seien. Diesen Therapieaufwand müsse sie betreiben, um die Blutzuckerwerte stabil zu halten. Der Beklagte holte einen weiteren Befundschein von Dr. K. vom 23. September 2010 ein. Hiernach bewege sich der HbA1c-Wert zwischen 6,2 und 6,9 mmol/l. Der letzte HbA1c-Wert vom 21. September 2010 habe 6,5 mmol/l betragen. Alle anderen laborchemischen Parameter seien im Normbereich. Selten träten leichte, meist kaum bemerkte Schockzustände auf. Zu Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit oder Fremdhilfe sowie Begleit- oder Folgeerkrankungen sei es nicht gekommen.

Die Klägerin ergänzte ihren Vortrag weiter und führte aus: Sie spritze täglich als Basis einmal Lantos und dann in Abhängigkeit von den jeweiligen Blutzuckerwerten drei bis viermal täglich Humalog. Darüber hinaus legte sie Auszüge ihres Diabetikertagebuchs vor. Der Versorgungsarzt Dipl.-Med. K. wertete diese Unterlagen am 8. November 2010 aus und gab an: Die diabetologischen Befundberichte und die nachgereichten Blutzuckeraufzeichnungen belegten noch keinen erheblichen Einschnitt in der Lebensführung und eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Es werde daher ein Gesamt-GdB von 40 empfohlen.

Nach der Zweiten Änderung der Versorgungsmedizinverordnung veranlasste der Beklagte eine erneute prüfärztliche Stellungnahme. In dieser Stellungnahme vom 23. Dezember 2010 führte die Versorgungsärztin S. aus, dass die vorgelegte Dokumentation einen Zeitraum von 96 Tagen umfasse. Die Klägerin messe vier bis achtmal täglich den Blutzucker und injiziere zwei bis viermal täglich Bolusinsulin und einmal täglich Basisinsulin. Nach den vorgelegten Dokumentationszeiträumen habe an mindestens 35 Tagen die Dosis nicht angepasst werden müssen. An den re...

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