Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Nichtanwendung der ambulanten BTA-Therapie zur Behandlung eines Adduktorenspasmus des Oberschenkels nach den Grundsätzen des Off-Label-Use. Off-Label-Use bei ambulanter Krankenhausbehandlung. Nichtanwendung Off-Label-Use bei ambulanter Behandlung in Hochschulambulanz

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage der Versorgung mit einer ambulanten Botulinumtoxin A (BTA)-Therapie zur Behandlung eines Adduktorenspasmus des Oberschenkels nach den Grundsätzen des sog "Off-Label-Use" (vgl BSG vom 26.9.2006 -B 1 KR 14/06 R = SozR 4-2500 § 31 Nr 6).

2. Die rechtlichen Grenzen, die § 135 Abs 1 SGB vertragsärztlichen Leistungen zieht, gelten bei einer ambulanten Krankenhausbehandlung nach § 116b Abs 2 bis 4 SGB 5 nicht in gleicher Weise (vgl BSG vom 27.3.2007 - B 1 KR 25/06 R = SozR 4-2500 § 116b Nr 1).

3. Eine ambulante "Off-Label-Behandlung" kann nicht in Hochschulambulanzen nach § 117 SGB 5 unter erleichterten Bedingungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.11.2011; Aktenzeichen B 1 KR 19/10 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Februar 2006 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger mit einer ambulanten Botulinumtoxin A (BTA)-Therapie zur Behandlung eines Adduktorenspasmus des Oberschenkels (Spastik der Muskeln an der Innenseite der Oberschenkel, die dazu dienen, die Beine an die Mittellinie des Körpers zu führen) zu versorgen hat.

Botulinumtoxin ist ein bakterielles Gift, das die Erregungsübertragung vom Nerv auf den Muskel hemmt. Entsprechende Arzneimittel werden in überaktive Muskeln gespritzt und führen so zu einer künstlichen Lähmung des Muskels. Die Wirkung setzt nach ein bis zwei Wochen ein und hält durchschnittlich drei Monate an. Es kommt also nicht zu einer Heilung, sondern lediglich zu einer Behandlung von Symptomen, die bei Nachlassen der Wirkung wieder zum Vorschein kommen.

Verschiedene Präparate der Toxinformen A und B sind für unterschiedliche Indikationen zugelassen: Das Präparat Botox (BTA) ist zugelassen für die Behandlung von: - Blepharospasmus (Lidkrampf), hemifazialem Spasmus (halbseitig auf das Gesicht bezogenem Spasmus) und koexistierenden fokalen Dystonien (von einem Herd ausgehende fehlerhafte Muskelspannungen) - idiopathischer rotatorischer zervikaler Dystonie (Torticollis spasmodicus = spas-tischer Schiefhals) - fokaler Spastizität: - in Zusammenhang mit dynamischer Spitzfußstellung infolge von Spastizität bei Patienten mit infantiler Zerebralparese ab dem zweiten Lebensjahr - des Handgelenkes und der Hand bei erwachsenen Schlaganfallpatienten - starker, fortbestehender primärer Hyperhidrosis axillaris (Steigerung der Schweißabsonderung in den Achseln), die störende Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens hat und mit einer topischen Behandlung nicht aus-reichend kontrolliert werden kann. Das Medikament Dysport (BTA) ist zusätzlich zu einigen der genannten Indikationen auch zur symptomatischen Behandlung einer Armspastik bei Erwachsenen in Folge eines Schlaganfalls zugelassen.

Der am .. 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet seit frühester Kindheit an einer spastischen Paraparese (unvollständige Lähmung zweier symmetrischer Extremitäten) bei infantiler Zerebralparese (frühkindliche Hirnschädigung) sowie Schwerhörigkeit.

Am 15. August 2001 ging bei der Beklagten ein Kostenübernahmeantrag für eine ambulante BTA-Therapie im Bereich der unteren Extremitäten für den Kläger ein, der von den Ärzten der Neurologischen Universitätsklinik M. Prof. Dr. W. , Direktor der Klinik, Dr. B. , Oberarzt, sowie Dr. S., Fachärztin für Neurologie, gestellt und begründet wurde. Der Kläger beklage seit 1992 eine Verschlechterung der Gangstörung mit Zunahme der Spastik sowie Schmerzen im Bereich beider Beine von stechendem, reißendem Schmerzcharakter mit Betonung der Innenseite der Oberschenkel. Da trotz antispastischer Therapie mit Baclofen sowie angepasster Schmerztherapie keine ausreichende Besserung des ausgeprägten Adduktorenspasmus und der Schmerzen in beiden Beinen habe erreicht werden können, sei im Mai 2001 erstmals eine BTA-Therapie des am schwersten betroffenen linken Beines erfolgt, die zu einer guten Besserung der Spastik geführt habe. Das Gangbild habe sich verbessert, die einschießenden Schmerzen seien verschwunden und der Patient habe nachts wieder durchschlafen können. Da die Wirkung dieses Mittels jedoch nur drei Monate anhalte, werde um eine Kostenzusage für die ambulante Durchführung der BTA-Injektionen an den unteren Extremitäten gebeten. Die Therapiemöglichkeiten der Spastik und der Schmerzen seien ansonsten ausgeschöpft und eine Verschlechterung des Gangbildes und Zunahme der Coxarthrose mit Gefahr der Hüftluxation werde ohne diese Therapie unvermeidlich eintreten. Die spastikbedingten Schmerzen im Be...

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