Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. geringfügige Unterbrechung. Theorie der wesentlichen Bedingung. geringfügige Erhöhung einer bestehenden Gefahr. selbstgeschaffene Gefahr. eingebrachte Gefahr. freiwillig geschaffenen zusätzlichen Gefahr. Rufen bzw Verabschieden eines nicht aggressiven Hundes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine nur geringfügige Unterbrechung auf dem Weg zur Arbeit lässt den Versicherungsschutz nicht erlöschen (Anschluss an BSG vom 28.2.1964 - 2 RU 185/61 = BSGE 20, 219, 221, zuletzt BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 14 RN 12).

2. Die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt eine Abwägung der Ursächlichkeit der versicherten Verrichtung mit anderen Ursachen.

3. Der Besitz eines nicht aggressiven Hundes bzw das Rufen dieses Hundes stellen keine sog eingebrachte Gefahr dar.

4. Eine geringfügige Erhöhung einer bestehenden Gefahr lässt den Versicherungsschutz weder unter dem Aspekt der "selbstgeschaffenen Gefahr" noch unter dem der "freiwillig geschaffenen zusätzlichen Gefahr" erlöschen.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Dezember 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 2. Juni 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Kontusion des linken oberen Sprunggelenks als Schaden ist.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 2. Juni 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Am Unfalltag verließ der Kläger morgens das Haus, um in sein Büro zu fahren. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 2. Juni 2010 kam auf dem Weg zu seinem PKW sein eigener Hund angerannt, stieß in vollem Lauf an das rechte Knie des Klägers und brachte ihn zu Fall. Dieser hatte anschließend Schmerzen im rechten Knie außen und im linken Fuß, woraufhin er den D-Arzt Dr. P. aufsuchte. Dieser diagnostizierte freie Gelenkkörper im Kniegelenk rechts und stellte weiter die Diagnose Kontusion im oberen Sprunggelenk links. Im Weiteren teilte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten mit, dass voraussichtlich bis zum 30. Juni 2010 Arbeitsunfähigkeit bestehe.

Gegenüber der Krankenkasse schilderte der Kläger den Unfallhergang wie folgt: "Auf dem Weg zum Auto sah ich von weitem meine Frau mit unserem Schäferhund aus dem Wald kommen. Zum Abschied zur Arbeit pfiff und rief ich den Hund zu mir. Der kam dann auch in vollem Lauf angerannt. Da der unbefestigte Weg vom Regen nass war, bremste der Hund offensichtlich nicht und wollte an mir vorbei rennen, leider lief er mir seitlich gegen das rechte Knie". Der Unfall habe sich auf dem öffentlichen Weg vor seinem Hausgrundstück ereignet. Im Rahmen einer Arthroskopie wurde später festgestellt, dass ein Knorpelabriss im rechten Knie bestand.

Mit Bescheid vom 3. August 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 2. Juni 2010 ab und führte zur Begründung aus, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Das Rufen und das Verabschieden von dem Hund stelle eine eigenwirtschaftliche Handlung dar, auch wenn es sich nur um eine kurzfristige Unterbrechung handele. Sie sei deshalb nicht mehr dem versicherten Weg zuzurechnen. Der Kläger habe in diesem Moment nicht beabsichtigt, den Weg fortzusetzen, sondern sich von seinem Hund zu verabschieden. Wesentliche Ursache des Sturzes sei damit das Rufen des Hundes gewesen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er müsse sein Auto ca. 50 Meter von seinem Haus entfernt parken. Falls er von der Arbeit komme oder zur Arbeit gehe und seine Frau zufällig vom Spaziergang aus dem Wald komme, sei es immer so, dass sein Schäferhund, wenn er ihn sehe, angesprintet komme, ohne dass er ihn rufe. Mal halte er vor ihm, meist aber sause er übermütig an ihm vorbei und laufe dann zu seiner Frau zurück. Dies sei seine Begrüßung, da er ihn wegen der guten Kleidung nicht anspringen dürfe. Zu jener Zeit habe der Hund oft in der Saale gebadet, so dass er froh gewesen sei, ihn zu sehen und zu rufen. So habe er ihn im Blick gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, das Rufen des eigenen Hundes mit dem nachfolgend vorgesehenen Verabschieden sei von rein eigenwirtschaftlichen Überlegungen geprägt. Das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit habe hier nicht mehr im Vordergrund gestanden. Mit dem Rufen des Hundes sollte sicher auch indirekt ein Verschmutzen der Kleidung vermieden werden; jedoch sei auch dieses Vorhaben nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Letztlich resultiere der Zusammenstoß mit dem eigenen Tier aus einer vorangegangenen eigenwirt...

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