Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Absenkung des Arbeitslosengeld II. Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Sofortvollzugs. Interessenabwägung. Erfolgsaussichten. Prozesskostenhilfe. Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Erwerbstätigkeit. Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Arbeitsgelegenheit nach § 16 SGB 2 (Ein-Euro-Job) ist keine Erwerbstätigkeit iS von § 115 ZPO. Die daraus erzielte Mehraufwandsentschädigung ist kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit, sondern eine Sozialleistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften.

 

Orientierungssatz

1. Das vom Gesetzgeber in § 39 SGB 2 angeordnete vordringliche Vollzugsinteresse hat für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bedeutung, dass der Antragsgegner von der ihm nach § 86a Abs 2 Nr 5 SGG obliegenden Pflicht entbunden wird, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit gesondert zu begründen (vgl LSG München vom 23.12.2009 - L 8 AS 815/09 B ER).

2. In den Fällen des § 39 Nr 1 SGB 2 ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Sofortvollzugs auszugehen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben.

3. Eine Sanktion nach § 31 Abs 1 S 1 SGB 2, durch die der Anspruch des Hilfebedürftigen auf die ihm zu gewährende Regelleistung ganz entfällt, ist so weitreichend, dass ein Sofortvollzug nur dann in Betracht kommt, wenn der Sanktionsbescheid voraussichtlich rechtmäßig ist.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. August 2010 wird aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 11. Juni 2010 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller im Verfahren L 5 AS 364/10 B ER entstandenen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu 1/2 zu tragen.

Dem Antragsteller wird zur Wahrnehmung seiner Interessen in beiden Rechtszügen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A., St., bewilligt. Es wird eine monatliche Ratenzahlung von 30,00 EUR ab Mai 2011 angeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen einen seitens des Antragsgegners erlassenen Sanktionsbescheid für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2010.

Seit 1. Januar 2005 gewährt der Antragsgegner dem am 18. September 1963 geborenen, ledigen Antragsteller Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 ersetzte der Antragsgegner eine zwischen ihm und dem Antragsteller nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 SGB II durch einen Verwaltungsakt. Hinsichtlich dessen konkreten Inhalts wird auf Bl. 7 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15. April 2010 bot der Antragsgegner dem Antragsteller eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 SGB II als Helfer im Gartenbau für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis 31. Januar 2011 an. Bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden/Woche sollte eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1,25 EUR/Stunde bezahlt werden. Der Antragsteller hat sich beim Arbeitgeber zwar am 21. April 2010 vorgestellt, die Annahme der Arbeit jedoch verweigert. Nach einer Anhörung senkte der Antragsteller mit Bescheid vom 11. Juni 2010 das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2010 unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c und Abs. 6 SGB II um 100% der Regelleistung. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte er ihm für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2010 Leistungen in Höhe von 277,24 EUR/Monat. Zudem er stellte in diesem Bescheid fest, dass dem Antragsteller monatlich zur Sicherung des Lebensunterhalts 359 EUR und für die Kosten der Unterkunft und Heizung 277,24 Euro zu bewilligen seien. Der Minderungsbetrag aufgrund von Sanktionen betrage 359 EUR. Für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 bewilligte er ihm ohne den Ausspruch eines Minderungsbetrages 636,24 EUR pro Monat. Gegen den Sanktionsbescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 25. Juni 2010 Widerspruch ein, über den, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden ist.

Bereits zuvor hatte der Antragsgegner gegen den Antragsteller zwei Sanktionen verhängt. So hatte er mit Bescheid vom 9. Januar 2009 die Regelleistung des Antragstellers für den Zeitraum vom Februar bis April 2009 um 105 EUR monatlich abgesenkt. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2009 hatte der Antragsgegner das Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom Januar bis Mai 2010 monatlich um 215,40 EUR abgesenkt. Die Überprüfung dieser Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit ist Gegenstand zweier Klageverfahren des vormaligen Sozialgerichts Stendal (nunmehr Sozialgericht Magdeburg).

Am 27. Juni 2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Stendal einen Antrag "Her...

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