Entscheidungsstichwort (Thema)

Kurzarbeitergeldanspruch. erheblicher Arbeitsausfall. betriebliche Voraussetzungen. Bindungswirkung des Anerkennungsbescheids nach § 173 Abs 3 SGB 3 bei fehlender Aufhebung. Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 0 Stunden durch Betriebsvereinbarung. freiwillige Weiterarbeit der Arbeitnehmer ohne Arbeitsentgeltanspruch

 

Orientierungssatz

1. Hat der Arbeitgeber gem § 173 Abs 1 SGB 3 alle rechtlich relevanten gegenwärtigen und zukünftigen Tatsachen so angezeigt, wie sie vorlagen und eingetreten sind, so kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen des § 169 Nr 1, Nr 2 und Nr 4 SGB 3 für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vorlagen, wenn die Bundesagentur für Arbeit (BA) gem § 173 Abs 3 SGB 3 einen Anerkennungsbescheid erlassen hat und diesen nach Bekanntwerden "freiwilliger" Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer im Kurzarbeitszeitraum nicht gem § 45 SGB 10 oder § 48 SGB 10 aufgehoben hat. Wenn die vom Arbeitgeber aufgestellten Tatsachenbehauptungen zutreffen, aber der BA ein Fehler bei der rechtlichen Beurteilung unterlaufen ist, so kann die BA - den Bindungswirkung im Rechtlichen entfaltenden - Anerkennungsbescheid nach § 173 Abs 3 SGB 3 nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB 10 oder § 48 SGB 10 aufheben.

2. Dem steht nicht entgegen, dass die BA einen erheblichen Arbeitsausfall iS des § 170 SGB 3 bestreitet. Eine Änderung der Tatsachen hat sich auch nicht daraus ergeben, dass die Arbeitnehmer gem Betriebsvereinbarung trotz vereinbarter Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 0 Stunden im Kurzarbeitszeitraum freiwillig tätig geworden sind und dadurch den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten haben. Die Arbeitnehmer haben hierdurch keinen Arbeitsentgeltanspruch erworben.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.09.2010; Aktenzeichen B 7 AL 21/09 R)

 

Tenor

1.

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 4. Mai 2005 (S 11 AL 487/03) sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2003 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. März 2003 Kurzarbeitergeld in Höhe von 118.585,74 € zu gewähren.

2.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für die Berufungsinstanz und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.

3.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Kurzarbeitergeld.

Über die K M GmbH in B N-A war durch Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. April 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter wollte das Kaufhaus Ende 2002 schließen. Vor diesem Hintergrund hatte er keine Warendispositionen über den Liefertermin 1. November 2002 zugelassen. Ausweislich eines Vertrages zwischen dem Insolvenzverwalter und der Klägerin im November 2002 übernahm letztere - damals noch als AG in Gründung (i. G.) - den Vertrieb des Verkaufsbereiches des K M in B N-A von der K M GmbH zum 1. Dezember 2002. Nach § 6 des Vertrages trat sie in sämtliche Arbeitsverträge mit den Mitarbeitern der K M GmbH ein.

Am 9. Oktober 2002 traf der damalige Geschäftsführer der K M GmbH, Herr H (H.), der spätere Vorstandsvorsitzende der Klägerin, mit den Mitarbeitern der Beklagten Herrn R (R.) und Herrn K (K.) zusammen, um unter anderem zur Vermeidung von Entlassungen die Gewährung von Kurzarbeitergeld zu erörtern. Am 22. Oktober 2002 wurde die gesamte Situation nochmals, diesmal auch unter Hinzuziehung des Betriebsratsvorsitzenden der K M GmbH, Herrn L (L.), der später auch Betriebsratsvorsitzender der Klägerin war, besprochen. Der genaue Inhalt dieser Gespräche ist streitig.

Am 5. Dezember 2002 schlossen die Klägerin i. G. und der Betriebsrat der Klägerin i. G. eine Betriebsvereinbarung über die vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Die Vereinbarung hat folgenden Wortlaut:

"Vereinbarung

1.

In den Betriebsstätten H und H in E N-A wird mit Wirkung vom 1.01.2003 Kurzarbeit eingeführt. Die mitarbeiterindividuelle Arbeitszeit wird auf 0 Stunden zurückgeführt.

2.

Die Mitarbeiter werden innerhalb der vertraglich vereinbarten individuellen Arbeitszeiten an Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb der jeweiligen Betriebsstätte teilnehmen und währenddessen die Verkaufsbereitschaft der Betriebsstätten aufrecht erhalten.

3.

Die Kurzarbeit wird beendet am 31.3.2003 (...)"

Am 11. Dezember 2002 zeigte die Klägerin der Beklagten den Arbeitsausfall an. Sie gab an, dass im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. März 2003 die regelmäßige Arbeitszeit auf 0 Stunden wöchentlich gesenkt werde. Vom Arbeitsausfall seien sämtliche 77 Mitarbeiter betroffen. Geschäftsöffnungszeiten des K M seien von Januar bis März 2003 täglich 9 bis 19 Uhr und samstags 9 bis 15 Uhr. Eine annähernd normale Warenbestückung sei erst zum 1. April 2003 zu realisieren. Die Klägerin legte der Anzeige die Betriebsvereinbarung vom 5. Dezember ...

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