Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Planungsbereich mit Zulassungsbeschränkung. Ausschreibung und Neubesetzung eines Vertragsarztsitzes. Gemeinschaftspraxis

 

Orientierungssatz

Ein Vertragsarzt, der eine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht wahrnimmt, keine Praxisräume mehr besitzt, keine Patienten mehr behandelt und über keinen Patientenstamm verfügt, betreibt keine Praxis mehr, die iS des § 103 Abs 4 S 1 SGB 5 von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte. In einem solchen Fall kommt die Ausschreibung des betreffenden Vertragsarztsitzes nicht mehr in Betracht (vgl BSG vom 29.9.1999 - B 6 KA 1/99 R = SozR 3-2500 § 103 Nr 5).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.11.2007; Aktenzeichen B 6 KA 26/07 R)

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Vertragsarztsitz des Beigeladenen als Sitz in Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger auszuschreiben.

Der Kläger nimmt in F als Augenarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 31.12.1997 führte er zusammen mit seinem Vater unter der Adresse Z straße ..., ... F eine Gemeinschaftspraxis, die er nach dem Ausscheiden seines Vaters mit dem Beigeladenen fortführte. Dieser kündigte im März 1999 den Gemeinschaftspraxisvertrag und schied zum 30.9.1999 aus der Gemeinschaftspraxis aus. Für den Fall der ordentlichen Kündigung war im Gemeinschaftspraxisvertrag die Übernahme der Praxisanteile durch den Kläger gegen Zahlung einer Abfindung sowie die Verpflichtung des ausscheidenden Partners vereinbart, unverzüglich bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) einen Antrag auf Ausschreibung des vakant werdenden Vertragsarztsitzes zu stellen, um so die weitere Existenz der Gemeinschaftspraxis zu ermöglichen. Die Vergabe kassenärztlicher Zulassungen für Augenärzte ist im Planungsbereich F gemäß §§ 101, 103 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) beschränkt.

Der Beigeladene stellte nach seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis keinen Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes Z straße ..., ... F, sondern führte seine vertragsärztliche Tätigkeit zunächst unter der Adresse S gasse ..., ... F fort; seit dem 1.7.2003 war er in Gemeinschaftspraxis mit den Augenärzten H/Dr H in F, S Str. ... tätig.

Mit Urteil vom 22.7.2002 (II ZR 265/00) verurteilte der Bundesgerichtshof (BGH) den Beigeladenen einen "Antrag auf Ausschreibung seines Kassenarztsitzes als Augenarzt bei der KÄV ... zu stellen". Mit an den Kläger und den Beigeladenen gerichtetem Bescheid vom 17.1.2003 lehnte die Beklagte die Durchführung eines "Ausschreibungsverfahrens aufgrund des Urteils des BGH vom 22.7.2002" ab. Zur Begründung führte sie aus: Zwar werde überwiegend die Ansicht vertreten, dass der Verzicht auf die Praxis noch nach Ausschreibung des Vertragsarztsitzes erklärt werden könne. Dies könne aber dann nicht gelten, wenn der Ausschreibungsantrag im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt sei, weil in diesem Fall wohl kaum mit einer freiwilligen späteren Verzichtserklärung zu rechnen sei. Der Tenor des Urteils des BGH vom 22.7.2002 sei zu unklar und unbestimmt, als dass er als Grundlage des Ausschreibungsverfahrens dienen könne. Nach vertragsarztrechtlichen Gesichtspunkten sei einzig möglicher Gegenstand des Ausschreibungsantrags die Einzelpraxis in F, S gasse ..., denn der Vertragsarzt könne nur einen Vertragsarztsitz haben und dieser werde definiert durch den Ort seiner Niederlassung. Allerdings bestehe begründeter Anlass zum Zweifel daran, ob dieser Vertragsarztsitz in dem Urteil des BGH gemeint sei. Der BGH sei in seinen Entscheidungsgründen einerseits vom Fortbestehen des gesellschaftsvertraglichen Ausschreibungsanspruchs zugunsten der Gemeinschaftspraxis und andererseits von der Offenheit eines Ausschreibungs- und Nachbesetzungsanspruchs zugunsten der Gemeinschaftspraxis ausgegangen. Damit sei letztlich aufgrund der Entscheidungsgründe nicht entscheidbar, ob die Einzelpraxis des Beigeladenen oder der Sitz in der ehemaligen Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger auszuschreiben sei. Im Übrigen sei zur Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes der Verzicht des vorherigen Zulassungsinhabers auf seine Zulassung erforderlich. Dieser sei nicht erklärt worden und könne auch nicht gemäß § 894 Zivilprozessordnung (ZPO) als durch das Urteil des BGH vom 22.7.2002 ersetzt angesehen werden. Eine Verpflichtung des Beigeladenen zur Erklärung des Verzichts auf seine Zulassung sei im Tenor dieses Urteils nicht ausgesprochen worden; auch die Entscheidungsgründe des Urteils könnten nicht in diesem Sinne ausgelegt werden. Den Beteiligten werde daher anheim gestellt, das Verfahren nach § 888 ZPO zu betreiben. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.7.2003 zurückgewiesen.

Am 1.9.2003 hat der Kläger Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen als Gemeinschaftspraxissitz mit ihm (dem Kläger) in F erhoben. Durch Urteil vom 16.2.2005 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewies...

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