Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. wesentlicher Zweck. Einnahme der Mittagsmahlzeit. ein Drittel der Dauer der gesamten Mittagspause. Wohnung der Freundin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Essenseinnahme kann auch dann wesentlich für die Zurücklegung eines nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 versicherten Weges sein, wenn sie nur etwa ein Drittel der gesamten Mittagspause einnimmt.

2. Das Verhältnis der Zeitdauer für die Zurücklegung des Weges vom und zum Mittagstisch (hier: jeweils 9 Minuten) im Verhältnis zur Essenseinnahme (hier: 12 Minuten bei einer Pausenlänge von 30 Minuten) ist nicht als "absoluter" Maßstab anzusehen, da dem Versicherten nicht vorgeschrieben werden kann, wie er die zu seiner freien Verfügung stehende Mittagspause einteilt (Anschluss an BSG vom 11.5.1995 - 2 RU 30/94 = HVBG-INFO 1995, 2038).

3. In einem Fall, in dem die zurückgelegte Wegstrecke unverhältnismäßig weit ist, ist zwar zu prüfen, ob ein anderes Handlungsziel vorliegt, welches das Motiv der Nahrungsaufnahme als unwesentlich in den Hintergrund drängt. Eine den üblichen Gepflogenheiten entsprechende Einnahme des Mittagessens in (selbst gewählter, angenehmer) Gesellschaft (hier: der Freundin) macht die Nahrungsaufnahme allerdings nicht bereits unwesentlich.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.04.2010; Aktenzeichen B 2 U 23/09 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 4.12.2008 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein vom Kläger erlittener Verkehrsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht.

Der 1976 geborene Kläger erlitt am 7.4.2005 einen Verkehrsunfall, als er auf der B 256 im Bereich der Ortsgemeinde G mit seinem Motorrad einen Lkw überholen wollte und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug frontal kollidierte. Er zog sich hierbei eine Oberschenkelhalsfraktur links, eine Zwei-Pfeiler-Fraktur des linken Acetabulums, eine Daumengrundgelenkluxation links und eine Wunde am linken Kniegelenk mit Eröffnung des Kniegelenks zu.

Der Kläger arbeitete zu dieser Zeit als Steinmetzgehilfe bei der Firma B GmbH und bewohnte eine sich auf dem Betriebsgelände in … G befindende Wohnung. Er hatte am Unfalltag um circa 12.05 Uhr die 30-minütige betriebliche Mittagspause angetreten und sich auf den Weg zu seiner damaligen Freundin C W, wohnhaft in … O, begeben, um bei ihr zu Mittag zu essen. Eine Betriebskantine existierte nicht. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, er sei trotz der knappen Zeit dorthin gefahren, weil ihm jede Minute mit seiner Freundin doppelt so lieb sei wie mit seinen Arbeitskollegen.

Die Beklagte holte Auskünfte beim Arbeitgeber des Klägers ein, zog die polizeilichen Ermittlungsakten bei und ermittelte die Entfernung zwischen der Betriebsstätte und der Wohnung der Freundin anhand des Routenplaners Map & Route.

Mit Bescheid vom 12.9.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfallereignisses vom 7.4.2005 mit der Begründung ab, es habe sich nicht um einen versicherungsrechtlich geschützten Weg zur Nahrungsaufnahme gehandelt. Unter Berücksichtigung einer Fahrzeit von jeweils etwa 13 Minuten wären zur Einnahme einer Mahlzeit nur 4 Minuten verblieben, so dass die Entfernung zwischen der Betriebsstätte und der Wohnung der Freundin unverhältnismäßig weit gewesen wäre. Im Vordergrund habe zudem die Motivation gestanden, die Mittagspause in der Gesellschaft der Freundin zu verbringen.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass er für die einfache Fahrt nur 9 Minuten benötigt habe. Nach dem Routenplaner von Falk betrage die Fahrtstrecke im übrigen nur 8,2 statt 9,83 Kilometer. In der Mittagspause habe daher genügend Zeit zur Essensaufnahme zur Verfügung gestanden. Im Übrigen seien Versicherte nicht verpflichtet, ihre Mahlzeit an der nächstmöglichen Stelle einzunehmen. Eine Kantine habe nicht zur Verfügung gestanden.

Die Auswertung der Routenplaner von Falk, Michelin und Map24 erbrachte Entfernungsangaben für die einfache Fahrtstrecke zwischen 9,38 bzw. 9,83 und 11 Kilometern. Die für die Zurücklegung der Strecke ermittelten Zeiten schwankten zwischen 10, 12 und 14 Minuten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.5.2006 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf das Ergebnis der Routenplaner Map & Route und Map24 zurück.

Mit der am 22.6.2006 eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Er wiederholt, für den Hin- und Rückweg jeweils nur 9 Minuten benötigt zu haben, so dass ihm zum Essen etwa 12 Minuten verblieben sei. Es sei auch häufiger vorgekommen, dass er seine Mittagspause um 5-10 Minuten überschritten habe. Ob dies arbeitsrechtliche Konsequenzen habe, sei in dem vorliegenden Verfahren unbeachtlich. Fakt sei, dass ihm ausreichend Zeit verblieben sei, um e...

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