Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluss zum BVerfG. Asylbewerberleistung. Beteiligtenfähigkeit. Rechtsträgerprinzip. Analogleistungen gem § 2 Abs 1 AsylbLG nF. verlängerte Vorbezugszeit von 48 Monaten. Rückstufung in Grundleistungen. Verfassungswidrigkeit der Bemessung der Grundleistungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung über Grundleistungen nach § 3 Abs 2 S 2 und 3 iVm § 3 Abs 1 S 4 AsylbLG (im konkreten Fall: für einen alleinstehenden Erwachsenen § 3 Abs 2 S 2 Nr 1 und S 3 iVm Abs 1 S 4 Nr 2 AsylbLG) verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = NJW 2010, 505).

2. Die Grundleistungen nach § 3 Abs 2 S 2 Nr 1 und S 3 iVm Abs 1 S 4 Nr 2 AsylbLG sind bereits evident unzureichend, ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherzustellen.

3. Die Bemessung der Grundleistungen des § 3 Abs 2 S 2 und Abs 1 S 4 AsylbLG erfolgte "ins Blaue hinein" ohne Anwendung eines verfassungsgemäßen Verfahrens der Bemessung der sicherzustellenden Bedarfe.

4. Eine Verfassungskonforme Auslegung des asylbewerberrechtlichen Leistungsgefüges dahingehend, dass die Grundleistungen des § 3 Abs 2 S 2 und Abs 1 S 4 AsylbLG doch als verfassungsgemäß erscheinen, ist nicht möglich. Insbesondere können allgemein höhere Leistungen nicht über § 6 Abs 1 AsylbLG erreicht werden.

 

Orientierungssatz

1. Richtiger Klagegegner ist die beklagte Stadt als Rechtsträgerin der begehrten Leistungen nach dem AsylbLG (vgl LSG Essen vom 25.2.2008 - L 20 SO 31/07 = Breith 2008, 709; Abweichung von BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R = BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11).

2. Die Vorbezugszeit des § 2 Abs 1 AsylbLG kann ausschließlich mit Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt werden; die mit Wirkung vom 28.8.2008 erfolgte Ausdehnung der Vorbezugszeit auf 48 Monate erfasst auch Leistungsberechtigte, die wegen der zuvor geltenden kürzeren Vorbezugszeit von 36 Monaten bereits Analogleistungen bezogen haben (vgl BSG 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2). Daher hat auch ein Asylbewerber, der 36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG und anschließend bereits 36 Monate Leistungen nach § 2 AsylbLG aF bezogen hat, mangels Erfüllung der verlängerten Vorbezugszeit des § 2 Abs 1 AsylbLG nF keinen Anspruch mehr auf Analogleistungen und ist auf Grundleistungen gem § 3 AsylbLG zurückzustufen. Eine andere Auslegung des § 2 Abs 1 AsylbLG ist nicht möglich und verfassungsrechtliche Bedenken allein gegen § 2 Abs 1 AsylbLG bestehen nicht.

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 18.07.2012; Aktenzeichen 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11)

BVerfG (Beschluss vom 13.06.2012; Aktenzeichen 1 BvL 10/10)

 

Tenor

Das Verfahren wird nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt. Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 sowie § 3 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Asylbewerberleistungsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 05.08.1997 (BGBl. I 1997, S. 2022) mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger anstelle der von ihm bezogenen Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) höhere sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) zu gewähren sind. Insbesondere ist streitig, ob der Kläger, der zwischenzeitlich bereits Analogleistungen erhalten hatte, auch nach Erhöhung der sog. Vorbezugsfrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG von 36 auf 48 Monate weiterhin Anspruch auf Analogleistungen hat, obwohl er im streitigen Zeitraum zwar 36, aber noch keine 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hatte.

Der am XX.XX.1977 in X/Irak geborene Kläger ist Kurde und Sunnit. Seit dem 17.03.2003 hält er sich ununterbrochen in Deutschland auf. Sein am 19.03.2003 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.11.2003 abgelehnt. Ein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Änderung der Feststellungen im Bescheid vom 21.11.2003 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.07.2009 abgelehnt. Keiner der Bescheide stellte ein Abschiebungshindernis fest. Beide Bescheide wurden bestandkräftig. Der Kläger erhält regelmäßig verlängerte Duldungen; der X-Rat der X als zuständige Ausländerbehörde hat während des Berufungsverfahrens mitgeteilt, die Duldungen beruhten auf § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz [AufenthG]. Aussetzung der Abschiebung, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird).

Mit Zuweisungsentscheidung nach dem Asylverfahrensgesetz der Bezirksregierung X vom 31.03.2003 wurde der Kläger der Beklagten zugewiesen. Dort hält er sich seit dem 08.04.2003 auf. Seither ist er dort (jeweils per Einweisung durch Ordnungsverfügung) in wechselnden Zimmern der städtischen Unterkunft für Asylbewerber X-straße XX untergebracht; auf dem freie...

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