Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Beitragsnachforderung. Tätigkeit als Fahrer für ein Reisebusunternehmen. Abgrenzung. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. Säumniszuschlag. Anforderungen an eine "unverschuldete" Unkenntnis des Beitragsschuldners von seiner Zahlungspflicht

 

Orientierungssatz

1. Ist der als Fahrer für ein Reiseunternehmen Tätige in dessen Betriebsorganisation eingegliedert, stellt das Unternehmen die Fahrzeuge zur Verfügung, ist er einem umfassenden Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der Tätigkeit unterworfen, verfügt er nicht über eine eigene Betriebsstätte, unterliegt er keinem unternehmerischen Risiko und ist er zu einem vereinbarten Tagessatz für das Unternehmen tätig, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

2. Einer solchen Bewertung widerspricht weder die Anmeldung eines eigenen Gewerbes durch den Fahrer, noch die Tatsache, dass der Betreffende für weitere Auftraggeber tätig wird. Der sozialversicherungsrechtliche Status eines Betriebsinhabers wird seitens der Gewerbeaufsicht nicht geprüft.

3. Zu den Anforderungen an eine "unverschuldete" Unkenntnis des Beitragsschuldners von seiner Zahlungspflicht im Sinne von § 24 Abs 2 SGB 4.

 

Normenkette

SGB IV § 28p Abs. 1 S. 5, § 28e Abs. 1, § 28d Sätze 1-2, § 28g Sätze 2-3, § 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 25 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1, § 23 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 1, §§ 7b, 8 Abs. 2, § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; TzBfG § 12; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1, § 138 Abs. 2; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 3 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB X § 52 Abs. 1; HGB § 84 Abs. 1 S. 2; BGB § 276 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2018; Aktenzeichen B 12 R 15/18 R)

BSG (Beschluss vom 07.06.2018; Aktenzeichen B 12 R 72/17 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.06.2014 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 23.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 wird hinsichtlich der auf den Beigeladenen zu 1) entfallenden Säumniszuschläge aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten in beiden Rechtszügen zu 45% und die Beklagte zu 55%, jeweils mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig bis zum 04.12.2016 auf 32.594,55 EUR und ab dem 05.12.2016 auf 27.169,21 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Betriebsprüfungsbescheides der Beklagten, soweit sie darin für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin im Streitzeitraum nachträglich Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge festgesetzt hat.

Die Klägerin betreibt - ursprünglich mit Unternehmenssitz in N, nunmehr in Berlin - ein Reisebusunternehmen mit Tourneebussen (sogenannten Nightlinern). Sie war zunächst in das Handelsregister des Amtsgerichtes (AG) N (HRB 000) und ist nunmehr in das des AG D (HRB 000 B) eingetragen. Sie besitzt speziell ausgestaltete Kraftomnibusse mit der äußerlichen Form eines Reisebusses und einer individuellen Ausstattung. Neben einigen Sitzreihen sind bis zu 18 Schlafkabinen und weitere Ausstattungsmerkmale wie z.B. ein Küchenbereich darin enthalten, die grundsätzlich einen 24stündigen Aufenthalt im Bus ermöglichen. Die Aus- und Umbaukosten belaufen sich pro Bus auf bis zu 150.000,00 Euro. Diese Busse werden regelmäßig von nationalen und internationalen Künstlern für Tourneen in Deutschland und im europäischen Ausland sowie teilweise im Rahmen von Werbekampagnen für Industrieunternehmen gebucht. Die Klägerin verfügt über insgesamt neun solcher Busse. Sie hat ca. 250 Transportaufträge im Jahr, jeder Bus legt an ca. 300 Einsatztagen im Jahr ungefähr 100.000 km zurück. Die Klägerin beschäftigt unstreitig angestellte Mitarbeiter in der Disposition und Verwaltung sowie eine variable Anzahl von sog. Tourbegleitern, die zum Teil ebenfalls bei ihr festangestellt sind und zum Teil auf Honorarbasis für sie tätig werden.

Im Oktober 2006 meldete der Beigeladene zu 1) ein Gewerbe mit der Tätigkeit "Planung, Vorbereitung und Durchführung von Busfahrten, Vertrieb von Nahrungsmitteln und Kosmetika in geschlossenen Gefäßen ohne Lagerhaltung" an. Als Betriebsstätte gab er seinen Wohnsitz an. Ab dem 1.2.2011 meldete er sein Gewerbe für die Tätigkeit "Tournee- und Begleitservice" um. Er wurde im Streitzeitraum ausweislich der vorliegenden Rechnungen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, in folgendem Umfang für die Klägerin tätig:

(Im Original: Tabelle)

Ferner wurde er für insgesamt fünf weitere Auftraggeber im streitigen Zeitraum tätig. Diesen stellte er Nettosummen in Höhe von 6.762,00 EUR im Jahr 2006, 6.270,00 EUR im Jahr 2007 und 16.182,00 EUR im Jahr 2009 in Rechnung. Auf die vorliegenden Rechnungen wird im Übrigen Bezug genommen. Weitere Rechnungen für das Jahr 2008 hat der Beigeladene zu 1)...

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