Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss eines Anspruchs auf Witwenrente bei begründeter Annahme einer sog. Versorgungsehe

 

Orientierungssatz

1. Nach § 65 Abs. 6 SGB 7 ist die Gewährung von Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat.

2. Die sich aus der gesetzlichen Vermutung ergebende anspruchsvernichtende Rechtsfolge kann durch das Vorliegen besonderer Umstände widerlegt werden. Dabei kommt dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung besondere Bedeutung zu.

3. Litt der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung und war dies auch beiden Ehepartnern bekannt, so waren auch von Zeugen bestätigte schon seit längerem bestätigte Heiratspläne nicht ausschlaggebend für den gewählten Zeitpunkt der Eheschließung. Die Annahme einer sog. Versorgungsehe führt gemäß § 65 Abs. 6 SGB 7 zum Ausschluss eines Anspruchs auf Gewährung von Witwenrente.

4. Eine sog. Pflegeehe setzt zur Widerlegung der Rechtsvermutung einer Versorgungsehe nach dem Urteil des BSG vom 3. 9. 1986, 9aRV 8/84 voraus, dass ein Beschädigter heiratet, der ständig auf Pflege angewiesen ist und dessen Ableben bei Eheschließung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.05.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Die am 00.00.1957 geborene Klägerin war nach ihrer Scheidung im Jahr 2003 in zweiter Ehe mit dem am 00.00.1959 geborenen Versicherten L I verheiratet. Nach Angaben der Klägerin kannte sie den Versicherten bereits mehrere Jahre, als sie 2004 ein Paar wurden. Im Juni 2005 zog die Klägerin mit ihrem damals 17-jährigen Sohn aus erster Ehe in die Wohnung des Versicherten, in der der Sohn bis 2014 wohnen blieb. Die Klägerin ist bei der M GmbH als Disponentin beschäftigt und erzielte im Jahr 2015 laut Einkommenssteuerbescheid ein Bruttoeinkommen von 35.402,00 EUR.

Im September 2016 traten beim Versicherten erstmals Atemprobleme beim Wandern auf, als deren Ursache er eine Erkältung vermutete. In seinem an den Versicherten adressierten Bericht vom 30.9.2016 über eine am gleichen Tag durchgeführte Computertomographie des Thorax äußerte der Radiologe K den Verdacht auf ein Pleuramesotheliom, nachrangig auf eine Pleurakarzinose und empfahl eine weitere Abklärung im Thoraxzentrum. Weiter beschrieb er metastasensuspekte maximal 23 mm große Raumforderungen. Seit 24.10.2016 war der Versicherte arbeitsunfähig erkrankt. Am 28.10 2016 wurde der Thorax des Versicherten geröntgt. In seinem hierüber erstellten und gleichfalls an den Versicherten adressierten Bericht vom gleichen Tag wies der Radiologe Dr. N auf einen progredienten Verlauf im Vergleich zur Computertomographie vom 30.9.2016 hin und ging bei seiner Beurteilung der Aufnahmen von einem wahrscheinlichen Pleuramesotheliom rechts aus. Während eines stationären Aufenthalts vom 30.10.2016 bis 9.11.2016 im Thoraxzentrum Ruhrgebiet wurde am 2.11.2016 eine elektive Thorakoskospie durchgeführt. Nach Befundung des entnommenen Gewebes beschrieben die Histologen das Ergebnis am 3.11.2016 als ausgeprägte Infiltration der Pleura durch einen hochmalignen epithelialen Tumor passend am ehesten zu einem epithelialen Pleuramesotheliom. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 16.11.2016, der nachrichtlich an den Versicherten gesandt wurde, stand diese Diagnose am Entlassungstag fest. Am 15.11.2016 stellte sich der Versicherte in der Klinik für Onkologie und Hämatologie der B Klinik zur Planung einer chemotherapeutischen Behandlung vor.

Am 9.11.2016 forderte die Klägerin ausweislich der beigezogenen Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung (DRV) beim Standesamt C für sich sowohl einen Auszug aus dem Geburtenregister als auch aus dem Eheregister bei der Gemeinde M1 an, da sie noch einmal heiraten wolle. Die beabsichtigte Eheschließung wurde am 14.11.2016 beim Standesamt I1 angemeldet. Die Eheschließung erfolgte am 7.12. 2016.

Der Versicherte verstarb am 3.5.2017 an den Folgen des Mesothelioms.

Nach vorangegangenem Feststellungsverfahren erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 10.8.2017 die Erkrankung des Versicherten als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 4105 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) - Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards - an und bewilligte mit weiterem Bescheid vom 21.9.2017 für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.5.2017 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H.

Die Gewährung einer Witwenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.8.2017 ab. Der Tod des Versicherten sei innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten. Dem Anspruch stehe § 65 Abs.2 S...

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