Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. Lungenemphysem. Stichtagsregelung. Anerkennung als Quasi-Berufskrankheit. Antrag auf Entschädigung vor Inkrafttreten der BKV-Änderungsverordnung. maßgeblicher Zeitpunkt. anwartschaftsähnliche Position. Vertrauensschutz. Bergmann

 

Orientierungssatz

1. Die wirksame Rückwirkungsvorschrift des § 6 Abs 2 BKV schließt nicht aus, für Versicherungsfälle außerhalb des Rückwirkungszeitraums noch eine Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO zuzusprechen, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens (1.12.1997) der BKV-Änderungsverordnung vom 31.10.1997 bereits ein Antrag auf Entschädigung einer Krankheit als "Wie-BK" gestellt worden ist und die Voraussetzungen für eine solche Entschädigung an sich gegeben sind.

2. Mit der Einleitung des Feststellungsverfahrens durch den Unfallversicherungsträger erhält der Versicherte eine Rechtsposition (eine anwartschaftsähnliche Position), die ihm ohne Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) und das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 GG iVm Art 2 Abs 1 GG) durch die Rückwirkungsklausel einer später In Kraft tretenden Änderungsordnung nicht wieder genommen werden kann.

3. Für die Frage, ob eine Entschädigung als "Wie-BK" gemäß § 9 Abs 2 SGB 7 oder als Berufskrankheit Nr 4111 der Berufskrankheiten-Liste zu erfolgen hat, kommt es nicht auf den Zeitpunkt der objektiven Entscheidungsreife an, denn der Versicherte hat auf die Dauer des Feststellungsverfahrens und damit auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Einfluss. Die Dauer des Feststellungsverfahrens liegt vielmehr in der Risikosphäre des Versicherungsträgers und darf daher nicht zu Nachteilen des Versicherten führen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.12.2008; Aktenzeichen B 2 KN 2/07 U R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.02.2007 wird abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1999 verurteilt, bei dem Versicherten eine chronische obstruktive Bronchitis als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. seit dem 26.03.1996 und einer MdE in Höhe von 40 v.H. seit dem 04.09.1997 - nach Maßgabe der weiteren gesetzlichen Bestimmungen - zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen wegen einer Berufskrankheit (BK).

Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1916 geborenen und am 00.06.2006 verstorbenen M M (Versicherter), mit dem sie im Zeitpunkt seines Todes in häuslicher Gemeinschaft lebte. Der Versicherte war - unterbrochen durch Reichsarbeits- und Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft und Polizeianwärtertätigkeiten - vom 14.05.1930 bis 30.09.1971 unter Tage angelegt.

Aufgrund einer am 04.09.1997 eingegangenen Ersatzanspruchsmeldung der (damaligen) Bundesknappschaft leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. Unter dem 17.09.1997 teilte sie dem Versicherten mit, dass sie prüfe, ob er wegen einer chronischen Bronchitis oder eines Emphysems Leistungen beanspruchen könne. Der zugleich an den Versicherten gerichtete Fragebogen ging am 29.09.1997 ausgefüllt mit weiteren Unterlagen (u.a. einer Kopie des Bergmannsbuches, ärztlichen Unterlagen des Kath. Krankenhauses E West vom 05.09.1997, 28.03.1996, 01.07.1994 und des N-Hospitals I vom 22.11.1993) bei der Beklagten ein. Unter dem 02.10.1997 nahm der Technische Aufsichtsdienst (TAD) Stellung und errechnete bei Unterstellung niedriger Staubkonzentration (aus differenzierter "worst-case"-Betrachtung abgeleitet) insgesamt 205,0 Feinstaubjahre. Die Beklagte forderte Befundberichte bzw ärztliche Unterlagen von Dr. E, Dr.E1, Dres. M und dem Kath. Krankenhaus (KH) E West an und bat die Bundesknappschaft um Übersendung ärztlicher Unterlagen (Schreiben vom 17.10.1997). Die Unterlagen der Bundesknappschaft gingen am 29.10.1997 und am 25.11.1997 ein. Die Befundberichte von Dr. E1 und von Dr. M gingen am 30.10.1997 bzw. am 08.12.1997 bei der Beklagten ein. Der Eingang der Unterlagen des Kath. KH E West ist unter dem 11.11.1997 vermerkt. Dr. E teilte am 11.12.1997 mit, dass Röntgenfilme bzw. medizinische Unterlagen nicht vorliegen. Die von Dres. M erbetenen Lungenfunktionsprüfungen und Thoraxaufnahmen ab 1995 gingen am 09.02.1998 bei der Beklagten ein. Unter dem 10.03.1998 erfolgte eine Anfrage beim Versicherten zur Auswahl eines medizinischen Sachverständigen. Nachdem zunächst die Klägerin unter dem 23.03.1998 mitgeteilt hatte, dass sich der Versicherte wegen eines Schlaganfalles in der Klinik befinde und eine Fortsetzung des Feststellungsverfahrens nicht wünsche, teilte der Versicherte unter dem 19.05.1998 selbst mit, er sei an der Fortsetzung des Feststellungsverfahrens interessiert, befinde sich jedoch weiterhin in stationärer Behandlung. Am 05.06.1998 erteilte die Beklagte ...

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