Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den objektiv hervortretenden Trennungswillen der Ehepartner zur Widerlegung der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Zu einer Bedarfsgemeinschaft i. S. von § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB 2 gehört als Partner des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte. Die Auslegung des Begriffs Getrenntleben richtet sich auch im Rahmen des SGB 2 nach familienrechtlichen Grundsätzen (BSG Urteil vom 16. 4. 2013, B 14 AS 71/12 R).

2. Zur Annahme eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erforderlichen objektiv hervortretenden Trennungswillens muss eine strikte Trennung der räumlichen Lebensbereiche der Ehegatten belegt sein. Daran fehlt es, wenn die Ehe über die vollzogene Aufgabe einer häuslichen Gemeinschaft in der gemeinsamen Ehewohnung fortgesetzt wird, ohne dass ein Partner von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Scheidung durchzusetzen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 20.07.2021; Aktenzeichen B 14 AS 115/21 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 13.05.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Bewilligung höherer Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von April 2018 bis September 2018.

Der am 00.00.1958 geborene Kläger bezieht laufend Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Er wohnt in einer seit 2009 angemieteten Wohnung zusammen mit seiner am 00.00.1981 geborenen Ehefrau und dem am 00.00.2008 geborenen gemeinsamen Sohn, für den im streitigen Zeitraum Kindergeld i.H.v. 194,00 EUR monatlich bezogen wurde. Das Warmwasser wird dezentral erzeugt.

Nach einer Ortsbesichtigung im Verfahren S 23 AS 742/14 erkannte der Beklagte im Wege eines Prozessvergleiches an, dass der Kläger in dem Zeitraum vom 01.04.2014 bis 31.01.2015 von seiner Ehefrau getrennt lebte. In den nachfolgenden Bewilligungszeiträumen ging der Beklagte bei der Bedarfsermittlung davon aus, dass zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau keine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II besteht. Seit November 2015 verfügte der Kläger über kein eigenes Konto. Die bewilligten Grundsicherungsleistungen überwies der Beklagte auf das Konto seiner Ehefrau. Über dieses Konto hatte der Kläger keine Vollmacht.

Die Ehefrau erzielte im streitbefangenen Zeitraum im Rahmen einer zunächst auf den Zeitraum vom 01.03.2018 bis 31.08.2018 befristeten, später dann verlängerten Beschäftigung als Reinigungskraft monatliche Einkünfte in unterschiedlicher Höhe. Das Entgelt wurde im Folgemonat ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 29.03.2018 bewilligte der Beklagte u.a. dem Kläger vorläufig nach § 41a SGB II Grundsicherungsleistungen i.H.v 488,99 EUR monatlich für den Zeitraum von April 2018 bis September 2018 unter Ansatz eines monatlichen Einkommens seiner Ehefrau i.H.v. 577,50 EUR brutto (460,00 EUR netto). Hierbei nahm er das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn an.

Am 18.04.2018 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid mit der Begründung ein, dass eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau nicht bestehe. Es sei keine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 12.10.2018 Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau könne nicht mehr angenommen werden, da sie dauerhaft getrennt in einer gemeinsamen Wohnung lebten. Aufgrund der zu niedrigen Zahlungen sei er daher mittellos und wisse nicht, wovon er leben solle. Dass keine Bedarfsgemeinschaft bestehe, sei auch bereits vom Sozialgericht Aachen in dem Verfahren S 23 AS 742/14 festgestellt worden.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2018 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau C zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat eine Bedarfsgemeinschaft angenommen, dass kein dauerhaftes Getrenntleben nachgewiesen sei. Die Eheleute hätten weder ein Scheidungsverfahren in die Wege geleitet noch ihre finanziellen Angelegenheiten voneinander getrennt.

Mit Bescheid vom 04.12.2018, adressiert an die Ehefrau des Klägers, hat der Beklagte u.a. die Höhe der an den Kläger zu gewährenden Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 30.09.2018 abschließend auf 462,04 EUR monatlich festgesetzt. Mit weiterem Bescheid vom 04.12.2018 hat der Beklagte vom Kläger zuviel erbrachte Leistungen i.H.v. monatlich 26,95 EUR, insgesamt 161,70 EUR nach § 41a Abs. 6 SGB II zurückgefordert. Der Kläger und seine Ehefrau haben keinen Widerspruch gegen die Bescheide erhoben.

Mit Urteil vom 13.05.2019, auf dessen Begründung...

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