Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Sozialhilfe. Kostenübernahme eines Rollstuhlrückhaltesystems. Ausgleich der Behinderung im Arbeitsleben

 

Orientierungssatz

1. Eine Krankenkasse ist im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nicht verpflichtet ein Rollstuhlrückhaltesystem (Kraftknotensystem), das zum Ausgleich der Behinderung im Arbeitsleben dient, zu übernehmen.

2. Für Leistungen dieser Art ist der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe zuständig.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.11.2008; Aktenzeichen B 3 KN 4/07 KR R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.10.2005 wird zurückgewiesen. Der Beigeladene wird unter Abänderung seines Bescheides vom 11.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2005 verurteilt, den Kläger mit dem Rollstuhlrückhaltesystem "Kraftknoten" zu versorgen. Der Beigeladene hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einen "Kraftknotensystem".

Der 1982 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Nachteilsausgleichen G, B, aG, H und RF. Der Kläger leidet seit Geburt unter einer schweren spastischen athetoiden Tetraparese. Diese Erkrankung führt dazu, dass er seine Gliedmaßen nicht kontrolliert bewegen und (bis auf wenige, nur für Eingeweihte verstehbare Laute) nicht sprechen kann. Er ist zur Fortbewegung auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Die Beklagte hat ihn mit einem speziell angefertigten Elektrorollstuhl mit PC-Kommunikationsgerät versorgt; damit kann er den Rollstuhl auch ohne Einsatz der Hände selbständig steuern. Beim Transport in einem Behindertentransportwagen (BTW) kann der Kläger nicht auf einen normalen Sitz umgesetzt, sondern nur im Rollstuhl sitzend befördert werden.

Der Kläger besuchte bis zum 10. Schuljahr die X Schule für Körperbehinderte I und wurde anschließend im August 2000 in die anerkannte Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) "S Werkstätten, Zweigbetrieb Glückauf-Werkstatt I" aufgenommen, wo er seit August 2001 im Arbeitsbereich (vollzeit-)beschäftigt ist. Der Beigeladene erkannte einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 40 Abs 1 Nr 7 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) an und übernahm die durch diese Beschäftigung entstehenden Kosten einschließlich der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Werkstätte (Bescheid vom 18.1.2002). Diese Fahrten werden durch den Behindertenfahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) durchgeführt.

Nachdem der Kläger im Januar 2004 vom DRK-Behindertenfahrdienst darauf aufmerksam gemacht worden war, dass sein Rollstuhl mit einem sog. Kraftknoten" nachzurüsten sei (Schreiben vom 21.1.2004), beantragte er unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung bei der Beklagten die Versorgung mit einem Kraftknotensystem für den vorhandenen Rollstuhl. Dabei handelt es sich um ein Rückhaltesystem zur Sicherung des Rollstuhls bei der Beförderung mit einem Kraftfahrzeug (Kfz). Ein Kraftknoten besteht aus 4 am widerstandsfähigen Rollstuhlrahmen verschraubten Schlosszungen (2 vorne, 2 hinten), an denen sich die Gurtschlösser der Gurte des (im BTW eingebauten) Rollstuhlrückhaltesystems einfach, schnell und vor allem verwechslungsfrei befestigen lassen. Das Kraftknotensystem kontrolliert automatisch den richtigen Gurtverlauf des Personenrückhaltesystems. Beim Kraftknotensystem werden (erstmals) Anforderungen auch an den Rollstuhl gestellt, der mit einem solchen System ausgestattet sein bzw. nachgerüstet werden muss.

Die Beklagte entschied, dass die Ausstattung des Rollstuhls mit einem Kraftknoten einen Mehraufwand darstelle, der in den Eigenverantwortungsbereich des Versicherten bzw. des Transportunternehmers falle, und lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 18.2.2004; Widerspruchsbescheid vom 2.8.2004). Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Im August 2004 beantragte der Kläger beim Beigeladenen die Versorgung mit einem Kraftknotensystem. Beigefügt waren ein Kostenvoranschlag der Firma T, Reha und Medizintechnik GmbH, über EUR 582,84 und ein Attest des Arztes Dr. U aus X1, der Kläger könne aufgrund der besonderen Schwere der Behinderung nur im Rollstuhl sitzend befördert werden (Bescheinigung vom 09.08.2004).

Auch der Beigeladene lehnte die Übernahme der Kosten eines Kraftknotens ab: Da es sich bei dem fest mit dem Rollstuhl verbundenen Halterungssystem um Zubehör zum Rollstuhl handele, sei für dessen Zurüstung die Krankenkasse zuständig. Deren Leistungspflicht setze allerdings voraus, dass das Hilfsmittel nicht nur für den Beruf, sondern auch für andere Lebensbereiche erforderlich ist (Schreiben vom 11.10.2004). Mit seinem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass er im Falle eines Unfalls um seine Gesundheit fürchte, seit der Behindertenfahrdienst ihn auf die bestehenden Transportgefahren hingewiesen habe. Der Beigeladene wies den Widerspruch zurück. Es...

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