Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhebung von Säumniszuschlägen bei der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. unverschuldete Nichtkenntnis von der Zahlungspflicht. Beitragsschuldner. Kleinbetrieb. Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen

 

Orientierungssatz

1. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, dann ist ein hierauf entfallender Säumniszuschlag nur dann nicht zu erheben, wenn der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

2. Weil die Erhebung des Säumniszuschlags nicht in das Ermessen der Behörde gestellt ist, genügt für den Beweis der unverschuldeten Nichtkenntnis nach dem gesetzgeberischen Willen das Mittel der Glaubhaftmachung, um die Anwendung der Vorschrift des § 24 Abs 2 SGB 4 in der Praxis nicht zu erschweren.

3. Der unbestimmte Rechtsbegriff "unverschuldet" ist nicht auf vorsätzliches Handeln beschränkt. Maßgeblich ist § 276 Abs 1 BGB, wonach der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Der Arbeitgeber, selbst wenn er nur Inhaber eines Kleinbetriebes ist, kann sich nach der Rechtsprechung des BAG (vgl BAG vom 16.8.1983 - 3 AZR 206/82) nicht darauf berufen, er habe einschlägige Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge nicht gekannt.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 25. Juni 2008 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist (nur noch) streitig, ob die Klägerin im Zusammenhang mit der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zur Zahlung von Säumniszuschlägen (SZ) verpflichtet ist.

Die Klägerin, Dipl.-Ing. für Bekleidungstechnik, betreibt in der dritten Generation nach ihrem Großvater und Vater einen Großhandel mit zumeist selbst entworfenen Lederwaren, die im asiatischen Ausland produziert werden. Am 23. und 24.11.2004 führte die Beklagte in ihrer Firma eine Betriebsprüfung, betreffend den Zeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2003, durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Klägerin die bis zum 31.03.2002 geltende Allgemeinverbindlichkeit des "Tarifvertrages Sonderzahlung Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1995 in der Fassung vom (idFv) 09.07.1997 und das "Urlaubsgeldabkommen für den Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1997 idFv 09.07.1997 nicht beachtet hatte. Mit Bescheid vom 24.11.2004 forderte die Beklagte daraufhin Beiträge in Höhe von insgesamt 22.686,81 EUR nach sowie SZ in Höhe von 13.572,94 EUR, davon 13.482,94 EUR bezogen auf die Nachforderungen wegen der Allgemeinverbindlichkeit der o. g. tarifvertraglichen Regelungen. Zur Begründung stellte die Beklagte darauf ab, die Nichtbeachtung der o. g. Tarifverträge habe wegen des im Sozialversicherungsrecht geltenden sog. Entstehungsprinzips zur Folge, dass bei den unter die o. g. tarifvertraglichen Regelungen fallenden Arbeitnehmern sozialversicherungsrechtlich zusätzlich zu den gezahlten Arbeitsentgelten auch die nicht geleisteten Sonder- und Urlaubsgeldzahlungen zu berücksichtigen seien. In bestimmten Fällen führe dies wegen des Überschreitens der maßgeblichen monatlichen Entgeltgrenzen für geringfügig Beschäftigte im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu umfassender Versicherungspflicht, in anderen Fällen zu höheren Pauschbeiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung (KV/ RV), die nachzuerheben seien. Bei einer weiteren Arbeitnehmerin sei trotz anders lautenden arbeitsgerichtlichen Vergleichs für zwei Monate kein Arbeitsentgelt gezahlt worden; auch insoweit seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten. Schließlich seien in Anlehnung an das Ergebnis einer Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamtes Steinfurt am 24.06.2003, betreffend den Zeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2002, Sozialversicherungsbeiträge für Löhne, die an Messehilfen in den Jahren 2000 bis 2002 gezahlt worden seien, nachzuentrichten.

Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin, vertreten zunächst durch den Steuerberater E (Beigeladener zu 12) u. a., geltend, die Aushilfskräfte würden nach Arbeitsanfall von der Klägerin beschäftigt. Es seien Stundensätze vereinbart worden, die alle Nebenleistungen, wie Weihnachts-, Urlaubsgeld und sonstige Leistungen, beinhalteten. Darüber hinaus schulde die Klägerin arbeitsrechtlich keine weiteren Zahlungen. Wie sich aus den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 28.01.2004 (BAGE 109, 254) und vom 14.10.2004 (Urteilssammlung für die Gesetzliche Krankenversicherung (USK) 2004-73) ergebe, seien im Arbeitsrecht auch Sondervereinbarungen zulässig. Solche könnten entweder in Form von Tarifverträgen oder auch durch eine vertragliche Individualvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden.

Nachdem die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Kopie des Urteils des Bundessozialger...

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