Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. keine Rückwirkung der Beschränkung des Prüfungsrechts der Krankenkassen in § 275 Abs 1c SGB 5. keine Verwirkung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs einer Krankenkasse. Überprüfbarkeit von Krankenhausrechnungen durch die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Die Beschränkung des Prüfungsrechts der Krankenkassen in § 275 Abs 1c SGB 5 kann nicht für Zeiten vor dem Inkrafttreten der Vorschrift entsprechend angewandt werden (vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/08 KR R = BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15 und vom 16.5.2013 - B 3 KR 32/12 R = SozR 4-2500 § 275 Nr 13).

2. Zur Frage der Verwirkung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus über die Vergütung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung.

3. Die Rechtsprechung des BSG zur Beschränkung der Korrektur erteilter Schlussrechnungen durch die Krankenhäuser (vgl zuletzt BSG vom 13.11.2012 - B1 KR 6/12 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 27 und vom 22.11.2012 - B 3 KR 1/12 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 28) kann auf die Überprüfung von Krankenhausrechnungen durch die Krankenkassen nicht übertragen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.04.2015; Aktenzeichen B 1 KR 7/15 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.10.2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.159,21 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 3.159,21 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Vergütung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung im Jahr 2004.

Die Klägerin ist Trägerin der Klinik für Manuelle Therapie, einem Plankrankenhaus gemäß § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), die sich als "Spezialklinik für Rheuma-, Wirbelsäulen- und Gelenksleiden" bezeichnet. Der am 00. 00 1986 geborene D. F. (im Folgenden: Versicherter) ist Mitglied der Klägerin. Er leidet seit Geburt an einer infantilen Cerebralparese mit beinbetonter Tetraparese, die bei ihm zu Gangstörungen wechselnden Ausmaßes führt. Vom 9.8.2004 bis 20.8.2004 wurde der Versicherte zum achten Mal in die Klinik der Beklagten stationär aufgenommen und dort mit einer Kombination aus manualmedizinischer und osteopathischer Technik begleitet von Krankengymnastik und physikalischer Therapie behandelt. Die Klägerin beglich den von der Beklagten in Rechnung gestellten Betrag von 3159, 21 Euro. Vergleichbare stationäre Behandlungen fanden auch in den Folgejahren statt.

Im Zusammenhang mit der Beantragung einer weiteren stationären Behandlung im Jahr 2008 legte der Versicherte der Klägerin die Entlassungsberichte der Behandlungen der Vorjahre, darunter auch den Entlassungsbericht vom 13.9.2004 vor. Der von der Klägerin eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) vertrat die Auffassung, eine Indikation für eine Krankenhausbehandlung im Jahre 2008 bestehe nicht. Nach dem letzten Entlassungsbericht sei die Behandlung in der Klinik der Beklagten rehabilitativ ausgerichtet gewesen. Der Versicherte wurde in der Klinik vom 30.6.2008 bis 11.7.2008 erneut stationär behandelt; die Klägerin lehnte die Kostenübernahme für diese stationäre Behandlung ab und beglich auch die Rechnung i.H. von 2791,26 Euro nicht.

Wegen dieses Betrages erhob die Beklagte am 13.10.2008 Klage (SG Dortmund S 8 KR 204/08, inzwischen L 16 KR 819/12). Im Rahmen dieses Verfahrens hat die Klägerin am 18.12.2008 Widerklage erhoben, mit der sie die Rückzahlung des Betrages von 3159,21 EUR begehrt, die sie für die Behandlung im Jahre 2004 geleistet hat.

Mit Beschluss vom 2.9.2009 hat das Sozialgericht die beiden Klagen getrennt und die Widerklage als eigenes Verfahren fortgeführt.

Zur Begründung der Widerklage hat die Klägerin ausgeführt, erst die Sachverhaltsermittlung zum Antrag auf Kostenübernahme für die im Jahre 2008 durchgeführte Krankenhausbehandlung habe es ihr ermöglicht, die Entlassungsberichte über die Aufenthalte ab dem Jahr 2004 einzusehen. Dabei sei festgestellt worden, dass schon während der Voraufenthalte tatsächlich keine Krankenhausbehandlungen von der Beklagten durchgeführt worden seien und der Versicherte jeweils nicht aktuell so schwer krank gewesen sei, dass nur die besonderen Mittel des Krankenhauses für die adäquate Therapie in Betracht gekommen seien. Insoweit würden die diesbezüglichen Kostenübernahmeerklärungen und Zahlungen wegen Irrtums angefochten. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot (zeitnahe Überprüfung) liege nicht vor. Als die Beklagte seinerzeit die Krankenhausbehandlung des Versicherten angezeigt und in Rechnung gestellt habe, habe keine Veranlassung bestanden, den MDK einzuschalten. Die mitgeteilten Diagnosen und die Abrechnung seien in sich schlüssig gewesen und hätten keinen Ansatzpunkt für eine Falschabrechnung aufgeze...

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