Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft

 

Orientierungssatz

1. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der gesetzlichen Krankenversicherung der Versicherungs- und Beitragspflicht. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

2. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Rechtsbeziehung so wie sie zulässig ist.

3. Vorstände einer Aktiengesellschaft befinden sich regelmäßig in einem Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 7 Abs. 1 SGB 4. Der Aufsichtsrat überwacht deren Geschäftsführung, der Vorstand ist diesem gegenüber berichts- und rechenschaftspflichtig. Zudem besteht eine Verantwortlichkeit gegenüber der Hauptversammlung. AG-Vorstände tragen kein eigenes Unternehmerrisiko.

4. Damit ist bei Vorständen einer AG für die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung grundsätzlich von der Existenz versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse auszugehen.

 

Tenor

Die Berufung der Beigeladenen zu 2) gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.04.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 2) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 01.04.2006 bis 31.12.2008.

Die Klägerin ist ausgebildete Grafikerin und Mediengestalterin. In der Vergangenheit war sie bei verschiedenen Pflegediensten im Bereich der Organisation versicherungspflichtig beschäftigt. Am 20.12.2005 bestellte der Aufsichtsrat der Beigeladenen zu 2), eine Aktiengesellschaft (Amtsgericht L - xxx), die nach ihrem Unternehmensgegenstand u.a. auf dem Gebiet der Altenpflege tätig ist und Sozialstationen sowie einen ambulanten Pflegedienst betreibt, die Klägerin zum Vorstand (Protokoll vom 20.12.2005).

In einem zwischen ihnen geschlossenen Dienstvertrag vom 15.02.2006 vereinbarten die Klägerin und die Beigeladene zu 2), dass die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2006 bis 31.03.2011 (§ 2 Ziff. 1) für die Beigeladene zu 2) sowie deren verbundene Unternehmen als Vorstandsmitglied auf den Gebieten allgemeine Verwaltungsaufgaben, Abrechnungen, Beratung und Aufbau von Sozialstationen, Beratung von Firmen/Kunden tätig wird (§ 1 Ziff. 1.2). Als monatliche Vergütung wurde ein Betrag von 2.600,00 Euro vereinbart. Es bestand weder ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Ziff. 6) noch auf bezahlten Erholungsurlaub (§ 4 Ziff. 1). Eine Beteiligung der Beigeladenen zu 2) an der sozialen Absicherung der Klägerin war ebenfalls nicht vorgesehen (§ 5), wobei davon ausgegangen wurde, dass Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht bestehe (§ 5 Ziff. 1). Im Übrigen war die Klägerin nach den getroffenen Abreden selbst verpflichtet, für ihre Absicherung im Fall der Krankheit, des Alters und der Berufsunfähigkeit Sorge zu tragen (§ 3 Ziff. 4, § 5).

Die Klägerin wurde im Folgenden für die Beigeladene zu 2) im Rechnungswesen, in der Buchhaltung sowie bei der Führung von Kundengesprächen tätig. Es bestand eine Kernarbeitszeit von 08:00 bis 16:00 Uhr. Über ihre Arbeit musste die Klägerin gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beigeladenen zu 2) Rechenschaft ablegen. Tatsächlich war die Klägerin bis zum 31.10.2008 für die Beigeladene zu 2) tätig. Sodann sprach die Beigeladene zu 2) eine fristlose Kündigung gegenüber der Klägerin aus. Vor dem Arbeitsgericht L schlossen die Beteiligten am 09.03.2009 einen gerichtlichen Vergleich, wonach Einigkeit dahingehend bestand, dass der Dienstvertrag aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung seitens der Beigeladenen zu 2) mit Ablauf des 31.12.2008 sein Ende gefunden habe.

Am 09.05.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, dass sie als Mitglied eines Vorstandes einer AG nicht der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege. Bei einem monatlichen Gehalt von 2600,00 Euro überschreite die Klägerin jedoch nicht die monatliche Beitragsbemessungsgrenze zur Kranken- und Pflegeversicherung. Daher könne insoweit keine Befreiung ausgesprochen werden (Bescheid vom 13.06.2006).

Im Widerspruchsverfahren vertraten die Klägerin und die Beigeladene zu 2) den Standpunkt, dass sich sowohl aus der gesetzlichen Systematik als auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ohne Weiteres ableiten lasse, dass Vorstände einer AG auch im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung nicht versicherungspflichtig seien.

Den Widerspruch wies die Beklagte zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass Vorstandsmitglieder einer AG grundsätzlich als abhängig Be...

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