Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Angelegenheit der gesetzlichen Unfallversicherung. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Klagen gegen Bescheide, in denen eine Umqualifizierung einer britischen "Limited" in ein einzelkaufmännisches Unternehmen nach deutschem Recht umgesetzt wird. Verlust der Rechts- und Beteiligtenfähigkeit der "Limited" als Konsequenz aus dem Brexit. Geltung der (modifizierten) Sitztheorie. Unternehmereigenschaft des Alleingesellschafters

 

Orientierungssatz

1. Zum Verlust der Rechts- und Beteiligtenfähigkeit einer nach englischem und walisischem Recht gegründeten Private Limited Company by Shares (Limited) mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit).

2. Zur Anwendbarkeit deutschen Rechts und der daraus folgenden Unternehmereigenschaft des Alleingesellschafters nach der sog (modifizierten) Sitztheorie.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.01.2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerinnen tragen auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.428,96 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin einen Unternehmerwechsel infolge des angeblichen Verlusts der Rechtspersönlichkeit der Antragstellerin zu 1) als nach englischem und walisischem Recht gegründete Private Limited Company by Shares (Limited) infolge des sog. Brexit umsetzt.

Die Antragstellerin zu 2) ist Alleingesellschafterin der Antragstellerin zu 1), die im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes Königreich) in der Rechtsform einer Limited nach englischem und walisischem Recht am 08.06.2015 gegründet und im "Companies House" von Cardiff mit registrierten Sitz "69 G Street, Birmingham, United Kingdom" eingetragen ist. Das Unternehmen der Antragstellerin zu 1), dessen alleinige Betriebsstätte sich in C, Deutschland, befindet und das laut Gewerbeanmeldung bei der Stadt C vom 09.07.2015 "Gebäudeservice" anbietet, wurde seit dem 01.07.2015 unter der Firma der Antragstellerin zu 1) bei der Antragsgegnerin geführt (Bescheid über die Feststellung der Zuständigkeit vom 18.09.2015). Mit an die Antragstellerin zu 1) gerichtetem Bescheid vom 18.09.2015 veranlagte die Antragsgegnerin dieses Unternehmen nach den Gefahrtarifstellen 100 und 900 des ab dem 01.01.2012 gültigen Gefahrtarifs.

Mit Schreiben vom 23.12.2020 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerinnen darauf hin, dass es bisher aufgrund der Niederlassungsfreiheit möglich gewesen sei, eine Limited im Vereinigten Königreich zu gründen, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hatte. Diese Möglichkeit entfalle mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU). Die Limited werde daher entweder zu einem Einzelunternehmen, wenn sie nur einen Gesellschafter habe, oder zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), wenn sie mehrere Gesellschafter habe. Wenn das Unternehmen über den 01.01.2021 bzw. über eine von der EU zu vereinbarende Übergangsfrist hinaus fortgeführt werde, werde sie, die Antragsgegnerin, eine Umschreibung auf ein Einzelunternehmen bzw. eine GbR vornehmen.

Mit Bescheid über den "Unternehmerwechsel" vom 23.02.2021 beendete die Antragsgegnerin ihre Zuständigkeit für die Antragstellerin zu 1) zum 31.12.2020 und führte als Grund das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU an. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag stellte sie ihre Zuständigkeit für das Unternehmen (nunmehr) der Antragstellerin zu 2) fest, veranlagte dieses Unternehmen nach den Gefahrtarifstellen 100 und 900 mit an die Antragstellerin zu 2) gerichtetem Veranlagungsbescheid vom 23.02.2021 und erließ Beitragsvorschussbescheide für die Vorschussteilbeträge 2021, letztere ersetzt durch den Beitragsvorschussbescheid vom 21.04.2021 (Gesamtvorschuss i.H.v. 2.715,83 Euro).

Am 26.03.2021 legten die Antragstellerinnen Widerspruch gegen alle Bescheide vom 23.02.2021 ein. Sie trugen vor, es gebe keine Nachfolgepersonengesellschaft zur Antragstellerin zu 1). Diese sei nach britischen Recht gegründet, habe ihren Verwaltungssitz in Vaals, Niederlande, und in C eine sog. unselbständige Betriebsstätte. Die "Umqualifizierung" sei nach Artikel SERVIN 2.3 und 1.2 des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich andererseits vom 24.12.2020 (ABl. L 444/2020 vom 31.12.2020, nachfolgend: TCA) ausgeschlossen.

Mit Schreiben vom 27.05.2021 erläuterte die Beklagte, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU für ein in der Rechtsform der Limited betriebenes Unternehmen die Niederlassungsfreiheit ab 01.01.2021 nicht mehr gelte. Ohne einen Verwaltungssitz und ohne eine tatsächliche Geschäftstätigkeit im Vereinigte...

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