Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Zulässigkeit einer Beschwerde gegen eine nachträgliche Aufhebung von Prozesskostenhilfe. Umfang der Überprüfung eines von einem Sozialgericht in einer Aufhebungsentscheidung über Prozesskostenhilfe ausgeübten Ermessens

 

Orientierungssatz

1. Gegen eine nachträgliche Aufhebung von bereits bewilligter Prozesskostenhilfe ist eine Beschwerde auch dann zulässig, wenn die Aufhebung wegen einer Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgte.

2. Im Beschwerdeverfahren über die nachträgliche Aufhebung einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist das Beschwerdegericht nicht auf eine Rechtskontrolle der Ermessensentscheidung beschränkt, sondern hat eine vollständige inhaltliche Prüfung der Entscheidung vorzunehmen (entgegen LSG Chemnitz, Beschluss vom 20. Februar 2014, L 3 AL 159/13 B PKH).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.05.2014 aufgehoben.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Aufhebung bewilligter Prozesskostenhilfe (PKH) mit Ratenbestimmung.

Am 29.02.2012 beantragte der Kläger PKH für die Klage im Hauptsacheverfahren S 15 AS 287/12. Im Termin vom 26.11.2013 nahm er die Klage zurück. Durch Beschluss vom 28.11.2013 bewilligte ihm das Sozialgericht (SG) Köln PKH unter Beiordnung des Bevollmächtigten und erlegte als Selbstbeteiligung die Zahlung monatlicher Raten in Höhe von 95 Euro auf, erstmals zu zahlen für den Monat November 2013 und jeweils fällig am 15. des Folgemonats. Dabei berücksichtigte das Gericht ein zu berücksichtigendes Einkommen von 287 Euro monatlich. Dies errechnete es aus dem vom Kläger angegebenen und im Termin bestätigten Nettoeinkommen von 1380 Euro, abzüglich zweier Freibeträge von 442 Euro bzw. 201 Euro sowie Wohnkosten von 450 Euro monatlich.

Nachdem der Kläger keine der auferlegten Zahlungen erbracht hatte, hat das SG ihn über seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 15.01.2014, 14.02.2014 und 26.03.2014, letzteres mit Anhörung zur nun beabsichtigten Aufhebung der PKH, an die Zahlung erinnert. Der Kläger hat sich nicht geäußert. Durch Beschluss vom 19.05.2014, zugestellt am 26.05.2014, hat das Sozialgericht die PKH-Bewilligung aufgehoben. Dazu habe es sich veranlasst gesehen, da der Kläger sich mit mehr als drei Monatsraten in Verzug befinde und Hinderungsgründe weder angegeben noch ersichtlich seien.

Mit seiner am 03.06.2014 erhobenen Beschwerde trägt der Kläger vor, er habe schon keine Kenntnis von der Raten-Zahlungsaufforderung mit Bankverbindung und auch nicht von den folgenden gerichtlichen Mahnungen gehabt, da er umgezogen sei, die Post ihn nicht erreicht habe, obwohl der Bevollmächtigte doch die notwendigen Unterlagen besäße. Zudem sei er nun arbeitslos. Aus Krankheitsgründen (Herzerkrankung, Epilepsie) habe er nach Dezember 2013 seinen Arbeitsplatz verloren.

Er beziehe nun von der Bundesagentur für Arbeit monatlich 963 Euro Arbeitslosengeld I (Alg I) und müsse nach Verlust seiner vormaligen Werkswohnung in M jetzt für eine neue Wohnung eine höhere Miete aufwenden. Der Bevollmächtigte habe ihm dann auch keine Post mehr nachgesandt. Von dem PKH-Aufhebungsbeschluss habe er nur durch Zufall im Mai 2014 bei einem Telefonat mit dem SG in Köln in anderer Sache erfahren. Das Gericht habe ihm dann den Beschluss per email zugesandt. Nach dem in Kopie vorgelegten Bescheid der Arbeitsagentur S vom 28.03.2014 erhält der Kläger seit dem 12.03.2014 für die Dauer von 330 Kalendertagen Arbeitslosengeld in Höhe von 32,12 Euro täglich, nach einer ebenfalls in Kopie vorgelegten Quittung der Wohnungsbaugesellschaft T GmbH vom 04.07.2014 zahlt er eine Miete (Juli 2014) von 930 Euro monatlich.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des PKH-Beiheftes Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht gem § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für diese verneint. Die Aufhebung der Bewilligung wird schon nach dem Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht vom Beschwerdeausschluss erfasst. Eine Auslegung, dass sich der Ausschluss der Beschwerde auch auf die Aufhebung der PKH-Bewilligung erstrecken soll, ist nicht gerechtfertigt. Denn die Ablehnung der PKH wegen fehlender persönlicher bzw. wirtschaftlicher Voraussetzungen, insbesondere mangelnder Bedürftigkeit, ist nicht vergleichbar mit der hier erfolgten Aufhebung bereits bewilligter PKH, durch die dem Betroffenen eine Rechtsposition wieder entzogen wird. Ein entsprechender Regelungswille ist den Gesetzesmaterialien zu...

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