Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme von Energieschulden im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Versorgung mit Fernwärme. Darlehen. Grobe Fahrlässigkeit. Kopfteilprinzip

 

Orientierungssatz

1. Nach § 22 Abs. 8 SGB 2 können bei Leistung von Kosten für Unterkunft und Heizung auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Hierzu gehören u. a. Energieschulden. Die Sperrung von Fernwärme ist eine Notlage, die Maßnahmen zur Sicherung der Wohnung indiziert.

2. Der zur Bewilligung von einstweiligem Rechtsschutz erforderliche Anordnungsgrund besteht, wenn der Energieversorger eine Ratenzahlungsvereinbarung ausgeschlossen hat und ein anderer Anbieter nicht ersichtlich ist.

3. Ist nur einem Teil der Bedarfsgemeinschaft Verschulden bei dem Zahlungsrückstand anzulasten, so ist das Kopfteilungsprinzip des § 22 Abs. 8 SGB 2 bei der Darlehensgewährung nicht anzuwenden, weil damit eine faktische Mithaftung der ohne Verschulden handelnden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verbunden wäre.

 

Normenkette

SGB II § 22 Abs. 8, § 42a Abs. 1 Sätze 2-3; SGG § 86b Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 18.03.2016 geändert und wie folgt neu gefasst: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) ein Darlehen i  Höhe von 5512,81 EUR zu bewilligen. Die Auszahlung hat unmittelbar an die Rhein Energie AG zu erfolgen. Der Antrag der Antragsteller zu 2) bis 4) wird abgelehnt.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin zu 1) in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Energieschulden iHv 5512,81 EUR im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1981 geborene Antragstellerin zu 1) bildet mit ihren 2004, 2006 und 2011 geborenen Kindern, den Antragstellern zu 2) bis 4), eine Bedarfsgemeinschaft. Die Antragsteller beziehen vom Antragsgegner seit ca. zwölf Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die Familie wohnt in einer durch die Rhein-Energie mit Fernwärme belieferten Wohnung, das Warmwasser wird ebenfalls mit Fernwärme beheizt. Mit Bescheid vom 09.12.2013 wies der Antragsgegner die Antragstellerin zu 1) darauf hin, dass bei Anrechnung eines von der Antragstellerin zu 1) erzielten Nebenverdienstes die Zahlungen für Miete, Strom und Heizkosten nicht mehr direkt durch den Antragsgegner an die Anbieter erfolgen, sondern selbständig durch die Antragstellerin zu 1) vorgenommen werden muss. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung wurden vollständig an die Antragsteller ausgezahlt. Nach ihren eigenen Angaben führte die Antragstellerin zu 1) die Leistungen des Antragsgegners für die Fernwärmeversorgung nicht an die Rhein-Energie ab, weil sie glaubte, diese Zahlungen erfolgten unmittelbar durch den Antragsgegner und die an sie ausgezahlten Leistungen seien allein für sie und ihre Kinder bestimmt (eidesstattliche Versicherung vom 23.02.2016). Die Stromversorgung erfolgt seit Mai 2014 durch die Fa. Y S, die Abschläge iHv 92 EUR monatlich werden von den Antragstellern gezahlt.

Bereits im Dezember 2014 mahnte die Rhein-Energie bei der Antragstellerin zu 1) und ihrem ehemaligen Lebensgefährten M S (der nach Angaben der Antragstellerin zu 1) seit sechs Jahren nicht mehr in der Wohnung wohnt), Zahlungsrückstände (damals iHv 2630,31 EUR) an. Mit Klage vom 07.07.2015 forderte die Rhein-Energie von der Antragstellerin zu 1) rückständige Kosten für Fernwärme iHv 2590,08 EUR und rückständige Stromkosten aus einer Schlussrechnung vom 23.05.2014 iHv 637,28 EUR (insgesamt 3227,36 EUR). Mit Urteil vom 25.08.2015 (222 C 264/15) verurteilte das Amtsgericht Köln die Antragstellerin zu 1) und M S gesamtschuldnerisch, an die Rhein-Energie 3247,36 EUR zuzüglich Zinsen zu zahlen und eine Zählersperrung zu dulden. Am 10.02.2016 kündigte ein Gerichtsvollzieher an, die Zählersperrung am 25.02.2016 vorzunehmen. Mit Schreiben vom 22.02.2016 teilte die Rhein-Energie mit, die Forderung betrage mittlerweile 5512,81 EUR. Einer Ratenzahlungsvereinbarung werde nicht zugestimmt.

Am Vormittag des 23.02.2016 sprach die Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner vor und bat um darlehensweise Schuldenübernahme. Diese wurde vom Antragsgegner umgehend mündlich abgelehnt. Der Bevollmächtigte der Antragsteller konnte bei der Rhein-Energie einen Aufschub der Zählersperrung bis 14.03.2016 erreichen. Am 15.03.2016 ist die Sperrung erfolgt.

Am 11.03.2016 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Energiekostenrückstände in Höhe von 5512,81 EUR darlehensweise zu übernehmen. Die Antragstellerin zu 1) hat eidesstattlich versichert, sie sei im Glauben gewesen, die Kosten für Heizung und Strom würden "direkt vom Jobcenter bezahlt". Der hohe Zahlungsrückstand sei ihr erst im Jahre 2015 bewusst geworde...

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