Entscheidungsstichwort (Thema)

Anordnung der sofortigen Vollziehung des Genehmigungsbescheides einer Zweigpraxis. Rechtsschutzbedürfnis. Verbesserung der Versorgung. Verfahrensfehler einer unvollständigen Sachverhaltsaufklärung

 

Orientierungssatz

1. Im Interesse der Entlastung der Gerichte ist das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Beteiligte sein Begehren erkennbar auch außergerichtlich durchsetzen kann oder der Versuch, eine Aussetzung durch die Behörde zu erreichen, nicht von vornherein aussichtslos erscheint.

2. Eine "Verbesserung der Versorgung" iS von § 24 Abs 3 S 1 Nr 1 Ärzte-ZV kann bei einer erteilten Zweigpraxisgenehmigung vorliegen, wenn die angegebenen Sprechstundenzeiten für schulpflichtige Kinder und Jugendliche eine Verbesserung bedeuten können (vgl BSG vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R = SozR 4-5520 § 24 Nr 3).

3. Eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung stellt - vorbehaltlich des § 42 SGB 10 - einen Verfahrensfehler dar, der grundsätzlich zur Aufhebung des streitbefangenen Bescheides und zur Verpflichtung führt, die Angelegenheit neu zu entscheiden (vgl BSG vom 5.11.2008 - B 6 KA 10/08 R und vom 16.7.2008 - B 6 KA 57/07 R = BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, LSG Essen vom 9.4.2008 - L 11 (10) KA 16/05).

 

Gründe

Streitig ist eine Zweigpraxisgenehmigung.

Die Antragstellerin ist als Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) in P zur vertragsärztlichen Versorgung in einer Gemeinschaftspraxis zugelassen. Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind als Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in F niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Antragstellerin beantragte unter dem 29.03.2007 die Genehmigung für den Betrieb einer Zweigpraxis in F-X. Als Leistungsspektrum gab sie die komplette HNO-Heilkunde mit dem Schwerpunkt Stimm- und Sprachstörungen/Kinderaudiologie sowie Allergologie an (Schreiben vom 26.04.2007). Sprechstundenzeiten plane sie im Umfang von etwa acht Stunden pro Woche. In ihrer bisherigen Praxis ergäben sich bei Terminvereinbarungen bislang Wartezeiten von zwei Wochen, ansonsten fänden Behandlungen innerhalb der Sprechzeiten statt.

Die Kreisstelle P der Antragsgegnerin teilte dieser mit, dass die Fachgruppe der HNO-Ärzte in P einen Versorgungsgrad von 138,9 % und in F von 143,2 % habe. Die Fallzahl der Gemeinschaftspraxis sei durchschnittlich bis leicht unterdurchschnittlich. Die Wartezeit betrage nach Aussage einer Helferin gut zwei Wochen. Die Einrichtung einer Zweigpraxis sei nicht notwendig und nicht nachvollziehbar (Schreiben vom 16.05.2007). Der Bezirksvorsitzende des Berufsverbandes der HNO-Ärzte - Bezirksstelle X - Dr. S verwies darauf, dass die Versorgungssituation durch HNO-Ärzte in F ausgezeichnet sei; auch hinsichtlich der Versorgung der Kinder bestehe kein Bedarf; die Eröffnung der Zweigpraxis werde strikt abgelehnt (Schreiben vom 30.05.2007). Der stellvertretende Obmann im Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Dr. N erklärte, die Versorgungssituation der F Kinder bezüglich Sprach- und Stimmdiagnostik und Therapie sei hervorragend. Es gebe keine Wartezeiten bei der Diagnostik und Therapie. Eine ausreichende Anzahl der HNO-Kollegen sei auf kindliche Sprech- und Sprachstörungen spezialisiert. Die Kinder- und Jugendärzte würden keinen Bedarf an zusätzlichen HNO-ärztlichen Kollegen und damit keine Unterversorgung sehen (Schreiben vom 24.05.2007). Die Kreisstelle F der Antragsgegnerin teilte dieser mit, der Kreisstellenvorstand könne nicht erkennen, dass die Versorgung durch die Eröffnung der beantragten Zweigpraxis verbessert werde. Allerdings könnten die angegebenen Sprechstundenzeiten am Mittwochnachmittag und Samstagvormittag durchaus für schulpflichtige Kinder und Jugendliche eine Verbesserung bedeuten (Schreiben vom 12.06.2007). Auf weitere Anfrage der Antragsgegnerin teilte die Kreisstelle P mit, die in der Nähe der Praxis der Antragstellerin tätigen HNO-Ärzte hätten Wartezeiten von 14 Tagen bzw. ein bis zwei Wochen. Ein HNO-Arzt vergebe keine Termine. Ein Pädaudiologe/Phoniater habe Wartezeiten von drei bis vier Wochen (Schreiben vom 18.07.2007). Die Kreisstelle F erklärte, dass bei den entsprechend niedergelassenen Ärzten max. ein Tag Wartezeit bestehe. Die fraglichen Leistungen würden zeitnah durchgeführt (Schreiben vom 24.07.2007).

Mit Bescheid vom 28.08.2007 genehmigte die Antragsgegnerin die beantragte Zweigpraxis in F antragsgemäß mit der Begründung: Es wird davon ausgegangen, dass die genehmigte Zweigpraxis die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen verbessert. Diese Feststellung beruht darauf, dass in der Zweigpraxis Leistungen angeboten werden, die nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße an dem Standort erbracht werden. Die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes darf nicht beeinträchtigt werden. Die Sprechstundenzeiten an Ihrem Vertragsarztsitz haben Sie wie folgt angegeben: Mo., Di., Do. und Fr. 08.30 Uhr bis 12.00 Uhr und 15.00 Uhr bis 17.30 Uhr, Mi....

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