Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. grundsätzlicher Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist verfassungsgemäß. Gemeinsamer Bundesausschuss. tabellarische Auflistung von Ausnahmetatbeständen in Arzneimittel-Richtlinien ist abschließend. Beurteilung der Frage über lebensbedrohliche, jedenfalls schwerwiegende bzw schwere Erkrankung

 

Orientierungssatz

1. Der grundsätzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (vgl BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 6/08 R = BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4).

2. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss unter Abschn F Nr 16.4 der Arzneimittel-Richtlinien festgelegte tabellarische Auflistung von Arzneimitteln, die trotz Ausschluss in § 34 Abs 1 SGB 5 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können, ist abschließend.

3. Die Frage, ob es bei einer Erkrankung um eine lebensbedrohliche, jedenfalls schwerwiegende bzw schwere Erkrankung handelt, ist vom Gericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 selbst zu beurteilen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.03.2012; Aktenzeichen B 1 KR 24/10 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung verschiedener Präparate, die sie im Zusammenhang mit ihrer schweren Neurodermitis-Erkrankung anwendet.

Die 1973 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt unter einer Neurodermitis und verschiedenen Allergien. Zur Behandlung der Neurodermitis benötigt die Klägerin verschiedene Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig sind. Seit dem 1. April 2004 verordnete der behandelnde Hausarzt Dr C. die Arzneimittel auf Privatrezepten. Nach ihren eigenen Angaben müsse die Klägerin hierfür durchschnittlich 510,00 € monatlich ausgeben. Im Mai 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung dieser Arzneimittel bei der Beklagten. Darin führte sie aus, dass sie bei schmerzhaften Hauteinrissen Linola Fettcreme benötige. Dies sei bei Hauttrockenheit, insbesondere im Winter der Fall. Linola Creme benötige sie in Kombination mit Anästhesinsalbe zur Vorbereitung der Haut auf die Fettcreme im Sommer. Die Anästhesinsalbe 20 % sei die einzige Hilfe bei Juckreiz. Diese Salbe mache das Eincremen mit Linola bzw Linola Fettcreme erst erträglich, denn an sich sei dies schon schmerzhaft. Das Arzneimittel Balneo-Hermal F benötige sie zum Duschen, denn herkömmliche Duschöle würden brennen. Das Rezepturarzneimittel Pasta zinci mollis benötige sie zur Abheilung von Wunden. Die Klägerin fügte das ärztliche Attest des Dr C. vom 28. Mai 2004 bei. Dieser führte wie folgt aus:

“bei Frau D. liegt eine chronische Neurodermitis mit schwerem schubförmigen Verlauf vor.

In einer beigelegten Aufstellung finden Sie die schulmedizinisch und naturheilkundlich durchgeführten Therapien. Nur durch die zuletzt durchgeführte Therapie mit Anästhesin und Fettsalbenderivaten konnten in den letzten 6 Jahren schwere Schübe verhindert werden. Selbst mit dieser Basistherapie ist der Hautzustand nach wie vor nur grenzkompensiert, sodass ein Unterlassen vermutlich in kurzer Zeit zur Exazerbation führen dürfte. Im Sinne Ihrer Versicherten und der Kosteneinsparung möchte ich einen solchen Versuch nicht riskieren, der den Kostenträger sicherlich ein zigfaches der laufenden Jahrestherapie kosten würde und für die Neurodermitispatientin durchaus lebensgefährlich werden kann. Ich bitte um eine schriftliche Genehmigung der bislang erfolgten Therapie/Rezepturen für die Zukunft unter den GMG-Bedingungen nach dem 1.4.2004. Ohne diese ist mir eine weitere Verordnung laut Gesetzeslage nicht gestattet.

Ich bitte um eine zügige Entscheidung. Ggf. wäre eine “einstweilige Verfügung„ zur weiteren Verordnungsfähigkeit Ihrerseits sinnvoll, um in der Zwischenzeit bis zur endgültigen Entscheidung die Therapie zu gewährleisten.„

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 8. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2004 ab.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, die am 17. September 2004 beim Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass es sich bei ihrer Neurodermitis um eine schwerwiegende Erkrankung handele. Zwar seien seit dem 1. April 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gemäß § 34 Abs 1 SGB V ausgeschlossen. Gemäß § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V könne der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V erstmals bis zum 31. März 2004 festlegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten würden, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen - mit Begründung vom Vertragsarzt - ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei...

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