Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung. Leistungsausschluss. Unbilligkeitsgeneralklausel. bewusste leichtfertige Eingehung einer Gefahr. Feststellungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Klage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann zulässigerweise auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist und Versagungsgründe nach § 2 OEG nicht vorliegen.

2. Zum Versagungsgrund nach § 2 Abs 1 S 1 2. Alt OEG ("Unbilligkeitsgeneralklausel") bei bewusster / leichtfertiger Eingehung einer Gefahr, der sich das Opfer ohne Weiteres hätte entziehen können (hier: Freiwilliges Zusammentreffen mit dem späteren Täter in Kenntnis der Gefahr von Gewalttätigkeiten und vorangegangener Schutzbewaffnung).

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er am 26. Januar 1998 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i.S.d. § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist und dass Versagungsgründe nach § 2 OEG nicht vorliegen.

Der 1961 geborene Kläger besuchte am 26. Januar 1998 die Geburtstagsfeier von H. I. (damals: J.), an der auch die dem Kläger bis dahin unbekannte K. L. (damals: M.) teilnahm. Frau L. war an diesem Tag von ihrem damaligen Partner N. O. geschlagen worden, wovon sie den Gästen der Geburtstagsfeier berichtete. Mehrere Gäste der Geburtstagsfeier riefen daraufhin bei N. O. an. Frau I. soll hierbei zu N. O. u.a. gesagt haben: “Ich schneide dir den Schwanz ab. Ich breche dir deine Arme.„ Ein weiterer Gast namens Rüdiger habe weitere Beleidigungen ins Telefon gebrüllt (polizeiliche Vernehmung von Frau L. vom 12. Februar 1998). Im weiteren Verlauf der Geburtstagsfeier verabredete sich Frau L. telefonisch mit Herrn O. zu einer Aussprache in der Innenstadt von P.. Während Frau L. eigentlich beabsichtigte, sich alleine mit Herrn O. zu treffen, befürchteten einige der z.T. alkoholisierten Gäste der Geburtstagsfeier erneute Tätlichkeiten zwischen Frau L. und Herrn O.. Deshalb begleiteten mehrere Personen Frau L., u.a. Frau I., deren Sohn Q. J., der Kläger und Frau R. S. (damals: T.). Die damals stark alkoholisierte Frau I. führte einen Gegenstand, der zum Schlagen eingesetzt werden konnte, mit sich, der (damals nicht nennenswert alkoholisierte) Kläger eine Gaspistole. Die Gaspistole hatte der Kläger im Laufe der Geburtstagsfeier Q. J., dem damals 17-jährigen Sohn von Frau I., abgenommen bzw. von ihm übergeben bekommen.

In der Innenstadt von P. traf die Gruppe um Frau L. auf N. O. und weitere Personen seines persönlichen Umfeldes (U. und V.). Die Gruppe um N. O. wurde von dem Zeugen Q. J. der Neo-Nazi-Szene zugerechnet, während es sich nach der Aussage der Zeugin L. nicht um Neo-Nazis, sondern um eine Gruppe namens “Seikos„ (phonetisch) gehandelt haben soll. Eine Charakterisierung dieser Gruppe vermochte die Zeugin L. nicht abzugeben.

Zwischen den beiden Gruppen kam es unmittelbar nach dem Zusammentreffen zu Tätlichkeiten, wobei der genaue Ablauf von den Beteiligten unterschiedlich geschildert wird. Fest steht, dass der Kläger im weiteren Ablauf zumindest einen Schuss aus der mitgeführten Gaspistole abgab. Nach seinen Angaben handelte es sich hierbei um einen Warnschuss in die Luft. Dagegen gab N. O. an, dass der Kläger mehrfach geschossen und u.a. versucht habe, ihm (Herrn O.) gezielt ins Gesicht zu schießen. Nachfolgend wurde der Kläger schwer am Kopf verletzt (Schädel-Hirntrauma). Während N. O. angab, den ihn mit der Pistole bedrohenden Kläger mit der Faust zu Boden geschlagen zu haben, führt der Kläger die Kopfverletzung auf einen Schlag mit einem harten Gegenstand (vermutlich Bierflasche) unmittelbar nach Abgabe des Warnschusses zurück.

Mit Antrag vom 3. März 1998 beantragte der Kläger die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem OEG für die dauerhaft verbliebenen Folgen des Schädel-Hirntraumas (Beeinträchtigung des Sprachzentrums, Lähmungserscheinungen).

Noch vor Abschluss des Strafverfahrens gegen N. O., W. X. und Y. Z. lehnte der Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass den drei Beschuldigten eine Notwehrsituation (Angriff des Klägers mittels der Gaspistole) nicht widerlegt werden könne. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben des Klägers einerseits und der Zeugen/Beschuldigten andererseits liege objektive Beweislosigkeit vor (Bescheid vom 12. Dezember 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2001).

Im Strafverfahren wurden die Angeklagten N. O., U. und V. vom Amtsgericht AA. freigesprochen. Das Gericht führte zur Begründung aus, dass der Auseinandersetzung beleidigende Telefongespräche vorangegangen seien. Beim Verlassen der Wohnung habe sich die Gruppe um den Kläger bewaffnet. Der genaue Ablauf der nachfolgenden Auseinandersetzung habe sich nicht im Einzelnen aufklären lassen. Wer letztlich wen zu welcher Zeit in welcher Reihenfolge attackie...

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