Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Austausch der Rechtsgrundlage von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 zu § 328 Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB 3. Zulässigkeit. Anhörungspflicht

 

Orientierungssatz

1. Eine Anhörung ist nach § 24 Abs 2 Nr 3 SGB 10 entbehrlich, wenn mit der angefochtenen Entscheidung von den tatsächlichen Angaben, die der Leistungsempfänger gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen wurde, sondern gerade diese berücksichtigt wurden.

2. Stützt der Grundsicherungsträger eine Rückforderung auf die §§ 48, 50 SGB 10 statt auf § 328 Abs 3 S 2 SGB 3, liegt insofern lediglich ein inhaltlicher Begründungsfehler vor, der die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung nicht berührt. Ein Austausch der Rechtsgrundlage ist bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 328 Abs 3 S 2 SGB 3 möglich, weil dieser gegenüber § 48 SGB 10 geringere - nämlich keine - Anforderungen an den Vertrauensschutz stellt und ebenfalls keine Ermessensausübung erfordert.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.04.2015; Aktenzeichen B 14 AS 31/14 R)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. April 2011 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rückforderung von Grundsicherungsleistungen für die Monate November 2009 bis einschließlich April 2010.

Der Beklagte und Berufungskläger, beziehungsweise seine Rechtsvorgängerin, die ARGE D... (im Folgenden einheitlich: der Beklagte), bewilligte den Klägern für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 11. November 2009 Leistungen in Höhe von monatlich € 625,00 für die Klägerin zu 1., € 250,85 für den Kläger zu 2. und € 217,26 für den Kläger zu 3. Bei der Berechnung berücksichtigte er neben dem Kindergeldeinkommen für die Kläger zu 2. und 3. von jeweils € 164,00 ein Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1. von € 198,00, von denen er € 78,40 anrechnete. Die Bewilligung erfolgte vorläufig nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a SGB II in Verbindung mit § 328 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III). Der Vorbehalt bezog sich auf die Einkommensanrechnung, da die Höhe des Erwerbseinkommens der Klägerin zu 1. noch nicht feststand und, nach erst kurz zuvor erfolgter Trennung der Klägerin zu 1. und ihres Ehemannes, dessen Unterhaltszahlungen für die Kläger zu 2. und 3. ebenfalls noch nicht feststanden. Die Kläger wurden aufgefordert, die kommenden Einkommensbescheinigungen, einen Nachweis über die Austragung der Klägerin zu 1. aus dem Darlehensvertrag für das gemeinsame Haus mit ihrem getrennt lebenden Ehemann und einen Nachweis der Unterhaltsregelung, soweit sie diese erhalten habe, vorzulegen ebenso sowie eine Kopie des aktualisierten Sparbuchs für den Kläger zu 2. Der Bescheid enthielt den Hinweis auf die mögliche Rückforderung der vorläufig erbrachten Leistungen.

Die Klägerin zu 1. legte einen Nachweis über den Antrag auf Entlassung aus dem Darlehensvertrag und einen aktuellen Auszug des Sparbuches des Klägers zu 2. (Guthaben € 11,84) vor. Mit ihrem Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab Mai 2010 reichte die Klägerin zu 1. ihre Verdienstbescheinigung für die Monate November 2009 bis einschließlich März 2010 ein, wobei die dort aufgeführten Zahlungen jeweils im Folgemonat in Form einer Abschlagszahlung und einer weiteren Zahlung ausgezahlt wurden, so dass es sich um die Verdienstabrechnung für die in den streitgegenständlichen Monaten zugeflossenen Einkommen handelte. Zudem teilte sie mit, ihr Ehemann zahle seit dem 1. Dezember 2009 monatlich € 275,00. Er selbst habe die entsprechenden Belege schon beim Beklagten vorgelegt. Tatsächlich hatte der Ehemann der Klägerin zu 1., im Rahmen eines vom Beklagten unter der Bedarfsgemeinschaftsnummer der Kläger betriebenen Verwaltungsverfahrens zur Feststellung seiner Unterhaltsfähigkeit, bereits Ende Februar 2010 Belege für die von ihm ab November 2009 erbrachten Unterhaltszahlungen von € 158,-- für den Kläger zu 2. und € 117,-- für den Kläger zu 3. vorgelegt.

Mit Anhörungsschreiben vom 29. April 2010 teilte der Beklagte der Klägerin zu 1. mit, sie und ihre Kinder, die Kläger zu 2. und 3., hätten im Zeitraum November 2009 bis April 2010 Leistungen in Höhe von € 1,00 zu Unrecht bezogen, die mit Bescheid vom 9. November 2009 bewilligt worden seien. Das tatsächliche Erwerbseinkommen sei höher gewesen als vorsorglich angerechnet, zudem hätten die Kinder Unterhaltszahlungen vom Kindesvater erhalten. Sie habe die Änderungen nicht rechtzeitig mitgeteilt. Die Leistungsbewilligung sei daher rückwirkend nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) aufzuheben. Die Leistungen seien gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Der Beklagte führte dann für jede der drei Personen gesondert auf, in welchem der Monate November 2009 bis einschließlich April 2010 nach seiner Berechnung welche Ü...

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