Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. visuelle Rauchmelder für Gehörlose. mittelbarer Behinderungsausgleich

 

Orientierungssatz

Rauchmelder für Gehörlose, die mit einer Lichtsignalanlage kombiniert werden, sind grundsätzlich zum (mittelbaren) Ausgleich einer Behinderung im Sinne von § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 geeignet und erforderlich und stellen keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens dar (vgl BSG vom 18.6.2014 - B 3 KR 8/13 R = BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 13. Mai 2020 aufgehoben. Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt G., H., Prozesskostenhilfe gewährt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin die Versorgung mit einem Rauchmeldesystem für Gehörlose.

Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde I. verordnete der Klägerin unter dem 16. Juli 2019 ein „mona“ Türmonitoren-Set, eine Lichtsignalanlage „lisa“ DS-2/RF (Hilfsmittel-Nr: 16.99.09.3025), einen Funk-Rauchmelder Guardion (Hilfsmittel-Nr. 16.99.09.0093) sowie eine Funk-Blitzlampe mit integrierter Steckdose (Hilfsmittel-Nr. 16.99.09.2029). Ausweislich des Kostenvoranschlages der Firma J., Beratung in Gebärdensprache, K., vom 12. Juli 2019 belaufen sich die Gesamtkosten auf 1.494,-- Euro.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2019 genehmigte die beklagte Krankenkasse (KK) die Versorgung mit einem Rauchmelderset 3 (3 Rauchmelder, Vibrationskissen, Wecker) zu einem Abgabepreis von 668,-- Euro. Das begehrte Hilfsmittel diene nicht nur dem Behinderungsausgleich oder der Krankenbehandlung, sondern es ersetze teilweise einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Dies seien Gegenstände, die zur normalen Lebensführung gehören würden. Die Kosten dafür dürfe die Krankenversicherung nicht übernehmen. Deshalb würden Versicherte mit einem Eigenanteil beteiligt. Bei der Klägerin betrage der Eigenanteil 15,-- Euro. Dieser Anteil sei direkt an die Lieferfirma zu entrichten. Der Kostenvoranschlag sei um drei Blitzlampen und ein Türmonitor-Set gekürzt worden. Zeitgleich informierte die Beklagte die Lieferfirma über den Umfang der Kostenübernahme.

Dagegen richtete sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 23. August 2019. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 29. April 2010, B 3 KR 5/09 R, ausgeführt, dass Räume des alltäglichen Lebens mit fest installierten Blitzlampen versorgt werden müssten, um einen Behinderungsausgleich zu schaffen. Somit sei eine Versorgung mit lediglich zwei Blitzlampen aus 2017 auf keinen Fall ausreichend. Sie sei gehörlos und höre keine Geräusche. Sie bewohne eine Mietwohnung und ihre Tür verfüge über keinen Spion oder eine Sicherheitskette. Wenn es klingele, müsse sie die Tür öffnen, um zu sehen, wer dort stehe. Deshalb beantrage sie die Kostenübernahme für ein einfaches Türmonitor-Set. Das selbständige Hören sowie das Kommunizieren mit anderen Menschen gehöre zu den Grundbedürfnissen. Es gehe um die passive Erreichbarkeit durch Menschen aus dem Bereich der Außenwelt, nicht nur für angemeldete, sondern gerade auch für spontane Besuche. Die Verwirklichung dieses Grundbedürfnisses erfordere es, dass das für Gesunde hörbare Türklingelgeräusch in ein für sie wahrnehmbares Signal umgewandelt werde. Nur ausreichende Blitzlampen im Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer, Arbeitszimmer und Küche würde das Wahrnehmen der Türklingel ermöglichen. Zwei Blitzlampen im Wohn- und Schlafzimmer würden nicht ausreichen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2019 zurück. Die Versorgung mit zwei Blitzlampen sei ausreichend, da diese Lampen mobil seien und problemlos in verschiedenen Zimmern genutzt werden könnten. Die Lampen müssten lediglich in eine Steckdose gesteckt werden. Vor diesem Hintergrund sei es ausreichend, dass in zwei Zimmern Blitzlampen angebracht worden seien, nämlich dort, wo sich die Klägerin tagsüber überwiegend aufhalte. Zur Nacht könnte eine Blitzlampe mit ins Schlafzimmer genommen werden. Die Beklagte habe deshalb die Kosten für zwei mobile Blitzlampen mit eingebauter Schuko-Steckdose im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots bereits im Juni 2017 übernommen. Das Türmonitor-Set sei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (gKV) und dürfe daher nicht von der Beklagten übernommen werden.

Die Klägerin hat am 26. November 2019 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Sie hat weiterhin die Übernahme der Kosten für drei Funkblinklampen mit integrierter Steckdose (Hilfsmittel-Nr: 16.99.09.2029) begehrt. Es sei für sie unzumutbar, die Blitzlampen ständig umzustecken und bei sich zu führen. Die Beklagte habe sie mit weiteren drei Funkblitz-Lampen zu versorgen. Die Klägerin hat für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Das SG hat einen Befundbericht eingeholt vom Facharzt für HNO-He...

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