Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Amateurfußballspieler. Sportverein. Zuwendung. Arbeitsentgelt. Fahrtkostenersatz. Aufwandsentschädigung. abhängige Beschäftigung. Zulässigkeit der Übernahme von Ermittlungsergebnissen von Steuerfahndungen/Staatsanwaltschaften/Strafgerichten seitens der Sozialversicherungsträger. Wirtschaftliches Interesse des Fußballspielers. Mitgliedschaftliche Bindung an den Verein. Besprechungsergebnis der Spitzenverbände. Verjährung. Bedingter Vorsatz. Säumniszuschläge. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Eine weisungsgebundene Eingliederung iS eines Arbeitsverhältnisses ist bei einem Fußballspieler gegeben, wenn sich dieser gegenüber dem Sportverein zur Erbringung fußballsportlicher Tätigkeiten nach Weisungen des Vereins verpflichtet, typischerweise gegen Zahlung eines Arbeitsentgelts (§ 14 SGB 4). An einer Beschäftigung fehlt es aber, wenn zwischen Sportler und Sportverein lediglich mitgliedschaftsrechtliche Bindungen bestehen. Die zu beurteilenden Verpflichtungen dürfen nicht allein im Rahmen der Mitgliedschaft zu einem privatrechtlichen Verein in Erfüllung mitgliedschaftlicher Vereinspflichten ausgeübt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 26/08 R - Rdnr 19 mwN). Materielle Anreize zur Förderung der sportlichen Leistungsbereitschaft und zur Erreichung sportlicher Erfolge lassen nicht zwingend auf ein Arbeitsentgelt schließen (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 26/08 R aaO). Wenn die Zahlungen erbracht werden, um pauschal einen nicht nachzuweisenden Aufwand abzudecken, die Fußballspieler an den Sportverein zu binden, ohne sie arbeitsvertraglich zu verpflichten und sie im Rahmen ihrer fußballerischen Tätigkeit zu motivieren, handelt es sich nicht um Arbeitsentgelt.

2. Die Ermittlungsergebnisse von Steuerfahndungen/Staatsanwaltschaften/Strafgerichten dürfen von den Sozialversicherungsträgern für Betriebsprüfungen übernommen werden, sofern keine erheblichen Einwendungen vom Beitragsschuldner vorgetragen werden (Anschluss an st Rspr des BSG, vgl zB Urteil vom 30.3.2006 - B 10 KR 2/04 R = SozR 4-5420 § 2 Nr 1 und vom 9.9.1993 - 5 RJ 60/92).

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 24 Abs. 2, § 25 Abs. 1, § 28p Abs. 1 S. 5; SGG § 86a Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 22. August 2013 wird aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin als Klägerin vor dem Sozialgericht Stade erhobenen Klage zum Aktenzeichen S 1 KR 167/13 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 344.878,61 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wehrt sich gegen die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung aus einem Beitragsnachforderungsbescheid der Antragsgegnerin in Höhe von ca. 690.000,-- Euro. Hintergrund ist eine Betriebsprüfung der Antragsgegnerin bei der Antragstellerin rückwirkend für den Zeitraum von 2005 bis 2012 mit nachträglicher Veranlagung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für Fußballspieler.

Die Antragstellerin ist ein im Jahr 1946 gegründeter Sportverein mit den Sparten - neben der Fußballsparte - u.a. Volleyball, Tischtennis, Badminton, Leichtathletik, Einradfahren, Gymnastik, Mutter-Kind-Turnen, Kinderturnen, Jazztanz und Seniorensport. Der Verein hatte zuletzt ca. 1100 Mitglieder. Nach den gegen den Verein gerichteten Verfahren auf Lohnsteuer- sowie Sozialversicherungsbeitrags-Nachzahlung haben die meisten Mitglieder aus Furcht eigener Inanspruchnahme den Verein verlassen.

In der Fußballsparte des Vereins hat die 1. Herrenmannschaft seit Jahren in der sog. Niedersachsenliga gespielt, seit der Umbenennung der Liga in den Jahren 2007/2008 in der Oberliga Niedersachsen. Es handelt sich um die fünfthöchste Spielklasse im Herrenfußball in Deutschland.

Mit einem Teil der Fußballspieler der 1. Herrenmannschaft hatte die Antragstellerin schriftliche Verträge geschlossen, in denen sich der Verein zur Zahlung eines "einkommensteuerpflichtigen Entgeltes" (§ 3 Nr. 1) und von "steuerfreiem Auslagenersatz" (§ 3 Nr. 2) verpflichtete. Die Höhe der monatlichen Zahlungen an die Spieler mit schriftlichem Vertrag sowie an Spieler ohne schriftlichen Vertrag variierte - ausweislich der vom erkennenden Senat eingesehenen Aktenlage - zwischen 9,-- Euro/Monat und ca. 2.500/Monat, je nach Spieler. Die Antragstellerin entrichtete für einige Spieler Lohnsteuer sowie Gesamtsozialversicherungsbeiträge, für viele Spieler hingegen nicht.

Bereits in der Vergangenheit hatte die Antragsgegnerin als zuständiger Träger der Deutschen Rentenversicherung Betriebsprüfungen nach § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) bei der Antragstellerin vorgenommen. Nach dem Vortrag der Antragstellerin betraf dies etwa die Prüfzeiträume vom 1. Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2003 sowie vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dez...

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