Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Voraussetzung der Annahme eines Mehrbedarfs bei einer Nahrungsmittelallergie. Mitwirkungspflicht im sozialgerichtlichen Verfahren. Voraussetzung der Amtsermittlung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Anspruchsvoraussetzungen

 

Orientierungssatz

1. Macht ein Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende einen ernährungsbedingten Mehrbedarf geltend, so ist er für den Nachweis darlegungspflichtig, dass ein krankheitsbedingter zusätzlicher Ernährungsaufwand besteht. Das Sozialgericht muss jedenfalls dann, wenn der Betroffene weder entsprechende ärztliche Atteste vorlegt noch eine fachärztliche Schweigepflichtentbindung erklärt, ausnahmsweise keine eigenen Ermittlungen von Amts wegen zur Aufklärung möglicher Gesundheitsbeeinträchtigungen des Betroffenen durchführen.

2. Bezieht sich eine allergiebasierte Erkrankung (hier: Neurodermitis) nur auf wenige Nahrungsmittel, die für eine ausgewogene Ernährung nicht durch teurere Lebensmittel substituiert werden müssen, scheidet ein Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf aus.

 

Normenkette

SGB II § 21 Abs. 5 Fassung: 2006-07-21, § 41 Abs. 1 S. 4; SGG § 103 S. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Januar 2009 für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 31. Juli 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 789,92 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 6. Mai 2009 wurden dem Kläger für den Zeitraum von Juni bis Juli 2009 dem Grunde nach Leistungen in gleicher Höhe wie mit Bescheid vom 9. Januar 2009 gewährt; die Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus einem Darlehen fiel jedoch weg. Mit Änderungsbescheid vom 6. Juni 2009 wurden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juli 2009 aufgrund der Regelsatzerhöhung auf 797,92 Euro angepasst, mit Änderungsbescheid vom 12. Juni 2009 dann aufgrund einer Mieterhöhung auf 806,06 Euro.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 9. April 2009 einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Er leide unter anderem an einer Hyperurikämie sowie einer Neurodermitis. Zudem reichte er eine Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. H3 ein, wonach er aufgrund einer allergiebasierten Neurodermitis Krankenkost benötige.

Das vom Beklagten beteiligte Fachamt Gesundheit der Freien und Hansestadt Hamburg teilte am 7. Juli 2009 mit, dass eine Krankenkostzulage nicht befürwortet werden könne, da eine Allergietestung nicht vorgelegt worden sei. Mit Bescheid vom 13. Juli 2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf ab. Für die Erkrankung des Klägers könne kein Mehrbedarf geleistet werden. Nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei nicht von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Bei der Zahlung des Mehrbedarfs orientiere sich der Beklagte an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 17. Juli 2009 Widerspruch ein. Er sei multimorbide und leide u. a. an einer Hyperurikämie, Neurodermitis, Allergien sowie Magen-Darm-Problemen mit Verdauungsbeschwerden. Der Bedarf für eine gesunde, abwechslungsreiche, vitamin- und ballaststoffreiche Ernährung unter Weglassen eventuell unverträglicher Nahrungsmittel und ausreichender Flüssigkeitszufuhr sei mit etwas über 4 Euro pro Tag nicht gedeckt. Der Hautarzt und Allergologe Dr. H1 gab in einer vom Kläger eingereichten ärztlichen Bescheinigung vom 25. August 2009 an, dass der Kläger unter einer ausgeprägten allergischen Rhinitis mit einem oralen Allergie-Syndrom leide. Er vertrage aus diesem Grund kein Kernobst und nur wenig Steinobst. Nüsse würden ebenfalls nicht vertragen. In der Stellungnahme des Fachamts für Gesundheit vom 24. September 2009 heißt es hierzu, dass die nachgereichte Allergietestung keine wesentlichen Nahrungsmittelallergien enthalte. Eine Krankenkostzulage könne somit nicht befürwortet werden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 9. März 2010 zurück. Nach den geänderten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sei bei Neurodermitis und Hyperurikämie kein Mehraufwand für die Ernährung mehr erforderlich. Bei der Erkrankung des Klägers sei Vollkost angezeigt, die nach den Feststellungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Regelsatz gedeckt werden könne. Zudem habe das Gesundheitsamt hinsichtlich der vom Kläger eingereichten Atteste zur Neurodermitis, Allergietestung und zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten keinen erhöhten Ernährungsaufwand festgestellt.

Das Sozialgericht hat die am 7. April 2010 erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf...

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