Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Festsetzung. Diabetes mellitus Typ II. diabetesbedingte Folgeerkrankung

 

Orientierungssatz

1. Die Beurteilung des GdB beim Diabetes mellitus richtet sich nach dem Typ der Erkrankung, nach der Einstellbarkeit sowie Art und Ausmaß von Komplikationen; eine gesonderte Berücksichtigung des individuellen Therapieaufwands ist daher nicht möglich (vgl LSG Stuttgart vom 16.8.2006 - L 3 SB 2251/05).

2. Bei der Beurteilung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrechtist sind diabetesbedingte Folgeerkrankungen zusätzlich mit einem eigenen GdB (Einzel-GdB) zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.12.2008; Aktenzeichen B 9/9a SB 4/07 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte den Kläger als Schwerbehinderten anzuerkennen hat.

Der im ... 1942 geborene Kläger stellte im Januar 2002 bei der Beklagten einen Erstantrag nach Schwerbehindertenrecht und bat um rückwirkende Feststellung zum 10. November 2000. Als Gesundheitsstörungen benannte er einen insulinpflichtigen Diabetes sowie eine diabetische Retinopathie. Insulinpflichtigkeit bestehe seit 10. November 2000.

Mit Bescheid vom 11. Juni 2002 stellte die Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest, wirksam ab 10. November 2000, und berücksichtigte dabei - erstens - eine insulinpflichtige Zuckerkrankheit und - zweitens - eine Sehbehinderung beidseits.

Der Kläger erhob Widerspruch und begehrte die Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab 10. November 2000. Sein Diabetes mellitus sei nur schwer einstellbar, weshalb er sich der intensivierten Insulintherapie unterziehen müsse, welche wesentlich aufwendiger sei als eine konventionelle Insulintherapie. Darüber hinaus leide er an zusätzlichen Organkomplikationen (diabetische Retinopathie).

Mit Bescheid vom 26. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Die festgestellte Behinderung sei mit einem GdB von 40 angemessen beurteilt. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehe die insulinpflichtige Zuckerstoffwechselstörung, die nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (1996) als durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar mit einem GdB von 40 zu bewerten sei. Die Sehbehinderung ergebe als Einschränkung geringen Grades nach den Anhaltspunkten einen Teil-GdB von 10. Der Gesamt-GdB erhöhe sich dadurch nicht.

Der Widerspruchsbescheid ist am 26. Februar 2003 zur Post gegeben worden. Am 13. März 2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben mit dem Ziel einer Erhöhung des GdB auf mindestens 50.

Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, die Beklagte habe zu Unrecht ausschließlich auf das Fehlen von Hypo- oder Hyperglykämien abgestellt. Sie habe dabei übersehen, dass bereits nach dem Wortlaut der Anhaltspunkte 1996 ein Diabetes mellitus, der durch Diät und alleinige Insulinbehandlung schwer einstellbar sei, auch bei gelegentlichen ausgeprägten Hypoglykämien mit einem GdB von 50 zu veranschlagen sei. Daher müssten auch diejenigen Betroffenen, die optimal mitarbeiteten und nur durch strenge Befolgung der Diätvorschriften, ständige Blutzuckerkontrolle und Insulingaben solche Komplikationen vermieden, einen GdB von 50 erhalten. Die Beklagte habe außerdem die diabetische Retinopathie unzutreffend bewertet. Sie habe die dadurch aufgetretene Störung des Sehvermögens als eigenständige Behinderung behandelt, ohne zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine zusätzliche Organkomplikation handele, die den GdB des Diabetes mellitus nach den Anhaltspunkten erhöhe; die diabetische Retinopathie sei im Rahmen der Bewertung des Diabetes mellitus "zusätzlich" erhöhend und nicht, wie die Beklagte meine, "separat" zu berücksichtigen.

Im April 2004 wurden die Anhaltspunkte zur Thematik Diabetes mellitus geändert. Die Beklagte erließ daraufhin nach Anhörung des Klägers am 6. Juli 2004 einen Neufeststellungsbescheid nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), hob den Bescheid vom 11. Juni 2002 mit Wirkung vom 13. Juli 2004 insoweit auf, als der Anspruch des Klägers neu festgestellt werde und setzte den GdB auf 30 fest. Dabei berücksichtigte die Beklagte folgende Gesundheitsstörungen: insulinpflichtige Zuckerkrankheit (Teil-GdB 30), Sehbehinderung beidseits, erektile Dysfunktion, Nervenstörung und Bluthochdruck (jeweils Teil-GdB 10).

Mit Beweisanordnung vom 13. Juli 2004 hat das Sozialgericht den Internisten Dr. Weiß mit der Erstellung eines Gutachtens unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte 1996 beauftragt. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 8. April 2005 ausgeführt, die Bewertung der insulinpflichtigen Zuckerkrankheit im Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2002 mit einem GdB von 40 sei zutreffend, da der Blutzucker starke Schwankungen aufweise, insbesondere mit häufigen besonders akut gefährdenden niedrigen Blutzuckerwerten, aber auch deutlich zu hohen Werten in kurzen Zeitabständen. Wenn die Beklagte mit Bescheid ...

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