Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Elektrorollstuhl. keine Leistung der medizinischen Rehabilitation iSv § 13 Abs 3a S 9 SGB 5. Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion. Rechtmäßigkeit eines Rücknahmebescheids in Fällen einer fiktiven Genehmigung. Einbeziehung eines Aufhebungsbescheids im Rahmen eines Berufungsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a SGB V ist auch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln wie einem Elektrorollstuhl anwendbar.

2. Die Versorgung mit einem solchen Hilfsmittel durch Genehmigungsfiktion ist durch § 13 Abs 3a S 9 SGB V nicht ausgeschlossen; eine solche Versorgung ist keine der medizinischen Rehabilitation im Sinne dieser Norm (BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).

 

Orientierungssatz

1. Die Rechtmäßigkeit eines Rücknahmebescheids nach § 45 SGB 10 beurteilt sich in Fällen einer fiktiven Genehmigung alleine nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs 3a SGB 5 und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (vgl BSG vom 7.11.2017 - B 1 KR 15/17 R; BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R aaO, RdNr 32).

2. Über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungsbescheides kann durch Einbeziehung nach §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG im Rahmen eines Berufungsverfahrens erstinstanzlich entschieden werden, ohne dass zu diesem Bescheid noch ein Vorverfahren oder ein gesondertes gerichtliches Verfahren durchzuführen ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.08.2019; Aktenzeichen B 3 KR 21/18 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 8.7.2016 wird zurückgewiesen.

Auf die Klage der Klägerin werden der Bescheid vom 23.8.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 28.10.2016 aufgehoben.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Verfahren vor dem Senat zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl.

Die am 1965 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an einem Diabetes mellitus, einem Zustand nach einer Unterschenkelamputation im Dezember 2011 sowie einer Augenerkrankung. Unter dem Datum des 18.3.2015, bei der Beklagten am 27.3.2015 eingescannt, verordnete der Hausarzt der Klägerin Dr. C. einen elektrischen Rollstuhl für den Außenbereich. Der Arzt bescheinigte unter dem 2.6.2015, dass die Klägerin in der Lage sei, mit einem manuell selbst betriebenen Krankenfahrstuhl die Wohnung zu verlassen, um die im Nahbereich liegenden Stellen zu erreichen und Alltagsgeschäfte zu erledigen. Sie habe keinen PKW und könne sich mit einem Elektrorollstuhl selbstständig fortbewegen. Sie sei auch in der Lage, sich mit ausreichender Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr zu bewegen.

Mit Datum vom 13.7.2015 lehnte die Beklagte aufgrund der ärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage dem Ehemann der Klägerin gegenüber die Kostenübernahme für einen elektrischen Rollstuhl ab. Die Klägerin verfüge über einen Rollstuhl mit Greifreifen und könne auch damit die Wohnung verlassen, um sich den Nahbereich zu erschließen.

Im Widerspruchsverfahren verwies die Klägerin darauf, sie müsse ein mobiles COPD-Gerät mitführen und brauche daher einen Elektrorollstuhl. Der vorhandene sei für den Außenbereich nicht geeignet. Außerdem sei die Genehmigungsfrist abgelaufen.

Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten (SMD) nahm am 19.8.2015 gutachtlich Stellung. Man habe bereits im Februar 2015 festgestellt, dass sich die Klägerin mit einem Standard-Rollstuhl selbstständig und sicher fortbewegen könne. Man habe eine besondere Belastung im Hinblick auf die eingeschränkte Lungenfunktion nicht erkennen können. Die Klägerin habe früher selbst angegeben, noch in der Lage zu sein, mit dem Rollstuhl trotz Hindernissen wie einen Schotterweg das Haus zu verlassen. Sie könne sich den Nahbereich mit einem Rollstuhl mit Greifreifen selbstständig erschließen; außerdem sei sie im Hinblick auf eine diabetische Retinopathie und eines deswegen eingeschränkten Sehvermögens nicht qualifiziert, einen Elektrorollstuhl sicher und adäquat zu nutzen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl ab. Im Wesentlichen verwies sie auf die Stellungnahme des SMD sowie die ärztliche Bescheinigung von Dr. C.. Das Mitführen eines tragbaren Sauerstoffgeräts erfordere nicht die Bewilligung eines Elektrorollstuhls. Dieses könne man anhängen.

Im Klageverfahren hat die Klägerin insbesondere darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion das § 13 Abs. 3a SGB V erfüllt seien. Auf die bei der Beklagten eingegangene ärztliche Verordnung vom 18.3.2015 habe die Beklagte nicht mitgeteilt, dass man weitere Informationen benötige. Auch sei eine ausreichende Information hinsichtlich der Überschreitung der Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 3a SGB V nicht erfolgt. Die Entscheidungsfrist sei für die Beklagte daher eindeutig abgelaufen...

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