Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht nur, wenn unmittelbar vorher keine Krankenversicherungspflicht bestanden hat

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Befreiung nach § 8 Abs 1 SGB 5 ist nicht möglich, wenn die Versicherungspflicht nahtlos an eine bestehende andere anschließt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.04.2016; Aktenzeichen B 12 KR 24/14 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht.

Er war zunächst bis Ende des Jahres 2009 bei der Beklagten als Angestellter krankenversichert. Am 19. Juni 2009 ging er die Lebenspartnerschaft mit Herrn M S ein, der bei der Postbeamtenkrankenkasse versichert war und ist.

Dieser erkundigte sich im Juli 2009 bei der Postbeamtenkrankenkasse, ob und unter welchen Bedingungen sein Mann mitversichert werden könne. Diese antwortete mit Schreiben vom 9. September 2009, es gäbe derzeit keine Möglichkeit, eingetragene Lebenspartner mitzuversichern. Nach § 16 der Satzung der Postbeamtenkrankenkasse sei eine Mitversicherung nur von Ehegattinnen und Ehegatten möglich.

Der Kläger bezieht seit 1. August 2009 eine Altersrente.

Die Beklagte führt ihn seit dem 1. Januar 2010 als Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Eine weitere Anfrage des Lebenspartners bei der Postbeamtenkrankenkasse von März 2011 beantwortete diese mit Schreiben vom 21. April 2011 erneut abschlägig.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 fragte der Kläger bei der Beklagten an, ob ein Austritt aus der Beklagten zum Zweck eines Wechsels in die Postbeamtenkrankenkasse für ihn ab sofort möglich sei und stellte auch bereits (unter dem Vorbehalt einer Aufnahme als Mitversicherter in die Krankenversicherung seines Lebenspartners bei der Postbeamtenkrankenkasse) formlos den Antrag für einen solchen Wechsel.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. November 2011 ab. Ein Befreiungsantrag hätte bis zum 30. März 2010 gestellt werden müssen.

Hiergegen erhob der Kläger am 6. Dezember 2011 Widerspruch. Er beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist und eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Rentner. Die Antragsfrist sei nicht versäumt. Bereits das Schreiben seines Partners vom 24. Juli 2009 sei als Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Rentner zu werten. Der Zugang bei der Postbeamtenkrankenkasse sei auch im Verhältnis zur Beklagten nach § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) wirksam.

Die seinerzeitige satzungsgemäße Ungleichbehandlung von Ehen und Lebenspartnerschaften bei der Postbeamtenkrankenkasse sei mit Europarecht und Artikel 3 Grundgesetz nicht zu vereinen, da es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, innerhalb der Antragsfrist eine verbindliche Klärung der Frage zu erreichen, ob er bei der Postbeamtenkrankenkasse mitversichert sei. Es könne ihm nicht entgegengehalten werden, aufgrund der falschen Rechtsauskunft die Antragsfrist versäumt zu haben. Der Hinderungsgrund sei frühestens am 24. November 2011 entfallen (Verkündung des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften, BGBl. I, 2219 ff.). Der Wiedereinsetzungsantrag sei fristgemäß gestellt. Zudem liege ein Fall des § 27 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) vor. Das Fehlen einer gesetzlichen Klarstellung zur Mitversicherung stelle sich für den Kläger als höhere Gewalt dar. Ihn treffe nicht das geringste Verschulden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2012 zurück: Aufgrund § 5 Abs. 8 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei der Kläger bis zum Beginn der Rente am 1. Januar 2010 nicht in der KVdR versichert gewesen sei. Der Antrag auf Befreiung hätte gemäß § 8 Abs. 8 Satz 1 SGB V innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht, hier also bis 31. März 2010, gestellt werden müssen. Da die in § 8 Abs. 2 SGB V genannte Frist eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfrist sei, käme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X selbst dann nicht in Betracht, wenn die Fristversäumnis unverschuldet sei.

Hiergegen hat der Kläger am 19. April 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Eine Befreiungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 1 SGB V bestehe auch dann, wenn bereits zuvor Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe, soweit diese ende und am folgenden Tag die neue entstehe (Bezugnahme auf Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26. Juli 2012 - L 1 KR 572/11). Das Bundesverfassungsgericht habe mit den Beschlüssen vom 19. Juni 2012 (2 BvR 1397/09) und vom 18. Juli 2012 (1 BvL 16/11) (nochmals) klargestellt, dass die Gleichstellung von Ehegatten und Lebenspartnern bereits ab 1. August 2001 geboten gewesen sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 5. April 2013 abgewiesen. Eine Befreiung scheitere bereits an dem Umstand, dass der...

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