Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Kosten für die Anschaffung von Bekleidung und Schuhen in Übergröße. Erstausstattung. sozialgerichtliches Verfahren. Klagefrist. Voraussetzung der Anwendung der Zugangsfiktion für den Zugang eines Bescheides. Streitgegenstand

 

Orientierungssatz

1. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 SGB 10 setzt voraus, dass der Tag der Aufgabe zur Post nachvollzogen werden kann. Erforderlich ist daher, dass die Aufgabe des Verwaltungsaktes an die Post in den Verwaltungsakten der Behörde dokumentiert ist (vgl BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R = BSGE 97, 279 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2 = juris RdNr 15).

2. Beim Mehrbedarf handelt es sich um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, sodass dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden muss. Dementsprechend kann zum Mehrbedarf (oder seiner Höhe) nicht durch einen gesonderten Verfügungssatz zulässigerweise entschieden werden und demzufolge die Gewährung eines (höheren) Mehrbedarfs nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R = BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18 = juris RdNr 12).

3. Ein Anspruch auf einen Mehrbedarf besteht nicht, wenn wegen überdurchschnittlicher Körper- und Schuhgröße des Leistungsberechtigten übergroße Bekleidung benötigt wird. Die Ausgaben für die Ersatzbeschaffung sind aus dem Regelbedarf zu finanzieren.

4. Nicht vom Regelbedarf nach § 20 Abs 1 S 1 SGB 2 aF umfasst sind nach § 24 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2 aF hingegen Bedarfe für Erstausstattungen für Bekleidung.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten höheres Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 27. August 2013 bis 28. Februar 2014 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs von 150 Euro monatlich.

Der im Dezember 1953 geborene Kläger, der bis zum 27. August 2013 in einer JVA untergebracht war, bewohnte im streitigen Zeitraum eine Wohnung in der L Straße in B, für die er eine Gesamtmiete von 378,87 Euro monatlich zahlte.

Im August 2013 beantragte der Kläger Arbeitslosengeld II. Er machte dabei einen laufenden besonderen Bedarf wegen seiner Körpergröße und seiner mit 49/50 angegebenen Schuhgröße geltend.

Mit Bescheid vom 3. September 2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 27. August 2013 bis 28. Februar 2014, dabei für August 2013 anteilig, in Höhe von 760,87 Euro monatlich (382 Euro für den Regelbedarf, 378,87 Euro für Unterkunft und Heizung). Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Außerdem stellte er den Antrag auf Bewilligung zusätzlicher und erhöhter regelmäßiger Bekleidungsaufwendungen infolge seiner Körpergröße von 188 cm bei einem von Bauchumfang 162 cm.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2013 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab: Die Bekleidung und die Schuhe in Übergrößen zählten nicht zu den unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen Bedarfen. Sie seien mit der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts pauschaliert abgedeckt und könnten deshalb nicht als zusätzlicher besonderer Bedarf bewilligt werden.

Der Kläger legte auch dagegen Widerspruch ein.

Mit Änderungsbescheid vom 23. November 2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 12. Dezember 2013 und vom 12. Februar 2014 setzte der Beklagte die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 28. Februar 2014 in Höhe von 769,87 Euro monatlich (391 Euro für den Regelbedarf, 378,87 Euro für Unterkunft und Heizung) fest.

Gegen den Änderungsbescheid vom 12. Februar 2014 legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 verwarf der Beklagte diesen Widerspruch als unzulässig: Der Änderungsbescheid vom 12. Februar 2014 sei kraft Gesetzes nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Teil des bereits laufenden Widerspruchsverfahrens.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. September 2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 23. November 2013 und vom 12. Februar 2014 zurück: Mit Änderungsbescheid vom 12. Februar 2014 sei der Bescheid vom 12. Dezember 2013 zurückgenommen worden. Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung seien nicht ersichtlich.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2013 zurück: Ein unabweisbarer Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II liege nicht vor.

Am 3. März 2015 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Er hat sein Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, für Bekleidun...

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