Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Festbetragsfestsetzung. keine Klagebefugnis von Hilfsmittelherstellern/Verbänden gegen Festsetzung für ein bestimmtes Hilfsmittel (hier: für Hörhilfen gem Beschluss des GKV-Spitzenverbandes vom 12.12.2011). Schutzbereich aus Art 12 Abs 1 GG nicht berührt. Bindung der Vergabe öffentlicher Aufträge an Gleichheitssatz

 

Leitsatz (amtlich)

Hersteller von Hilfsmitteln bzw ihre Verbände werden durch die Festsetzung eines Festbetrages für bestimmte Hilfsmittel (hier: Hörhilfen) nicht in eigenen Rechten verletzt.

 

Orientierungssatz

1. Der Schutzbereich des Grundrechts aus Art 12 Abs 1 GG wird bei den Herstellern oder Anbietern von Hilfsmitteln nicht berührt, wenn die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt wird. Dass Marktchancen betroffen werden, ändert hieran nichts.

2. Einer staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es aufgrund des Gleichheitssatzes verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen (vgl BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvR 1160/03 = BVerfGE 116, 135); gleiches gilt für die Vorstufe von Vergaben, wie hier die Festbetragsfestsetzungen.

3. Die Festbetragsfestsetzung nach § 35 Abs 5 S 1 SGB 5 greift die Grundentscheidung der gesetzlichen Krankenversicherung zum Leistungsumfang auf und verleiht ihr durch das einzuschlagende Verfahren Wirkkraft. Im Hinblick auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung korrespondiert die Norm mit § 12 Abs 1 SGB 5; soweit bei der Festbetragsfestsetzung Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen sind, entspricht dies § 4 Abs 4 SGB 5. Eindeutig ist der Gesetzesbefehl, dass sich die Festbetragsfestsetzung an möglichst preisgünstige Versorgungsmöglichkeiten ausrichten muss.

 

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen vom Beklagten festgesetzte Festbeträge.

Der beklagte Spitzenverband Bund der Krankenkassen (Eigenbezeichnung: GKV-Spitzenverband) beschloss am 12. Dezember 2011 folgendes "Festbetragsgruppensystem für Hörhilfen", welches am 1. Februar 2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde und am 1. März 2012 in Kraft trat:

I. Allgemeine Erläuterungen zum Festbetragsgruppensystem und zu den Festbeträgen

Der GKV-Spitzenverband bestimmt gemäß § 36 Abs. 1 SGB V Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Die Festbeträge für Hörhilfen wurden mit Wirkung vom 1. Januar 2005 auf der Bundesebene durch die ehemaligen Spitzenverbände der Krankenkassen festgesetzt und zum 1. Januar 2007 angepasst. Sie gelten bis zur Festsetzung von neuen Festbeträgen durch den GKV-Spitzenverband unverändert weiter.

Für die Versorgung von an Taubheit grenzenden Patienten wird eine neue Abrechnungsposition gebildet. Der neue Festbetrag tritt am 1. März 2012 in Kraft. Maßgeblich für die Anwendung des neuen Festbetrages ist der Zeitpunkt der Leistungserbringung. Für das Festbetragsgruppensystem gelten die medizinischen, technischen und sonstigen Anforderungen der Produktgruppe 13 "Hörhilfen" des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V.

Der Festbetrag umfasst sämtliche Leistungen, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen. Ausgenommen hiervon sind Kosten, für die bereits separate Festbeträge existieren (zum Beispiel Ohrpassstücke). Der Festbetrag wird jeweils für eine Hörhilfe in einfacher Stückzahl festgelegt. Bei dem Festbetrag für an Taubheit grenzende Versicherte handelt es sich um einen Nettobetrag. Der Festbetrag gilt für die Versorgung von Erwachsenen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr.

Mit dem Festbetrag sind im Einzelnen folgende Leistungen abgegolten, die mit der Bereitstellung der Produkte an den Versicherten entstehen:

- Anamnese, Daten zur Schwerhörigkeit, Erfassung der sozialen Umfeldsituation, Dokumentation durch den Hörgeräteakustiker

- Betrachtung der äußeren Ohren, der Gehörgänge und der Trommelfelle

- Ermittlung der Kenndaten, Audiometrie

- Kontrollotoskopie

- Gehörgangstamponade

- Kontrollotoskopie

- Voreinstellung der ausgewählten Geräte, Geräteeinstellung z.B. PC, AGC, Frequenzen, Kanaligkeit etc.

- Filter im Hörkanal (Einstellung)

- Rückkoppelungsmanagement (Einstellung)

- Störgeräuschunterdrückende Software

- Hörprogrammanpassung

- Mehrmikrofontechnik-Anpassung

- Vergleichende Hörgeräteanpassung

- Toleranztest

- Erste Einweisung im Rahmen der Hörgeräteauslieferung, Bedienung und Handhabung

- Rezeptabrechnung

Die Definition der an Taubheit grenzenden Patienten erfolgt auf der Basis der WHO-Definition von 2001Table of grades of hearing impairment (Tonaudiogramm). Hörgeräte, die für die Versorgung von an Taubheit grenzenden Patienten abgegeben werden, müssen über folgende Features verfügen:

- Digitaltechnik

- Mehrkanaligkeit (mindestens 4 Kanäle)

- Rückkoppelungs- und Störschallunterdrückung

- Mindestens 3 Hörprogramme

- Verstärkungsleistung &8805; 75 d...

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