Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Weg vom dritten Ort. eigenwirtschaftliche Tätigkeit: Urlaubsreise. unangemessene Streckenverlängerung gegenüber der üblichen Arbeitswegstrecke. Unfallereignis im Nahbereich der Betriebsstätte. anderer Streckenabschnitt als üblicher Arbeitsweg. Unfallort: ca 7 km Entfernung zur Betriebsstätte

 

Orientierungssatz

1. Zum Nichtvorliegen eines versicherten (Rück-) Weges von einem sog dritten Ort (hier: Urlaubsort) gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7, wenn die Strecke vom dritten Ort zur Betriebsstätte etwa 30 Mal so lang war wie die übliche Strecke von der Wohnung zur Betriebsstätte.

2. Nach Auffassung des Senats folgt ein Versicherungsschutz darüber hinaus nicht daraus, dass sich der Unfall erst im Nahbereich der Betriebsstätte (hier: etwa sieben Kilometer vor deren Erreichen) ereignet hat. Maßgeblich für den Versicherungsschutz ist, ob die Länge des durch den dritten Ort bedingten Weges im angemessenen Verhältnis zum unmittelbaren Weg von der Wohnung steht. Unangemessen lange Wege vom dritten Ort sind nicht versichert, weil die damit verbundene Risikoerweiterung mit dem sozialen Schutzzweck der Wegeversicherung unvereinbar ist.

3. Ereignet sich der Unfall auf einem Streckenabschnitt, der nicht auf dem üblichen Weg von der Privatwohnung zur Arbeitsstätte durchfahren werden müsste und dessen Nutzung auch einen erheblichen Umweg im Vergleich zum üblichen Weg dargestellt hätte, kann der Schutzbereich der Wegeunfallversicherung auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eröffnet werden, wonach ein Umschlagen eines unversicherten Wegs in einen versicherten Weg anzunehmen ist, sobald der Teil des Weges erreicht ist, der den üblichen Weg nach dem Ort der Tätigkeit bildet (vgl BSG vom 28.7.1983 - 2 RU 50/82 = SozR 2200 § 550 Nr 57).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.08.2021; Aktenzeichen B 2 U 2/20 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

In Streit steht die Anerkennung eines Ereignisses am 19. August 2013 als Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -.

Die Klägerin und ihr Ehemann waren in einem Autohaus in der Hstraße in B beruflich tätig. Ihr Ehemann war Inhaber des Autohauses. Die Wohnung der Klägerin und ihres Ehemanns befand sich etwa 14 km von der Arbeitsstätte entfernt im A in B.

Im August 2013 verbrachten die Klägerin und ihr Ehemann einen Urlaub mit dem Motorrad in S und in dem etwa 420 km von ihrer Arbeitsstätte entfernt liegenden Ort E in T. Während des Urlaubs führte die Tochter den Geschäftsbetrieb. Bereits bei Beginn des Urlaubs stand fest, dass die Klägerin und ihr Ehemann am Morgen des 19. August 2013 nach B zurückreisen würden, um die Tochter im Betrieb abzulösen. Die Tochter teilte ihren Eltern am 18. August 2013 in einem Telefonat mit, dass sie am Nachmittag des 19. August 2013 einen Zahnarzttermin habe. Nach den Angaben der Klägerin beschlossen sie und ihr Ehemann daraufhin, am 19. August 2013 von ihrem Urlaubsort in E direkt zum Autohaus zu fahren. Auf dem Rückweg prallten sie gegen 13:25 Uhr auf dem A in B in Höhe der Hausnummer 361 - etwa sieben Kilometer von dem Autohaus entfernt - mit ihrem Motorrad auf einen Sattelschlepper. Der Unfall ereignete sich auf einem Streckenabschnitt, den die Klägerin und ihr Ehemann auf dem üblichen Weg von ihrer Privatwohnung zu ihrer Arbeitsstätte nicht durchfahren hätten und dessen Nutzung auch einen erheblichen Umweg im Vergleich zum üblichen Weg dargestellt hätte. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall unter anderem eine Oberarmschaftquerfraktur links und ein Schädel-Hirn- Trauma ersten Grades. Ihr Ehemann starb bei dem Unfall.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2014 - Az. - teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Kosten für ihre medizinische Behandlung nicht mehr übernommen würden, weil sie nicht zum Kreis der gesetzlich versicherten Personen gehöre. Sie habe zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Darüber hinaus liege kein versicherter Wegeunfall vor. Die Klägerin sei am 19. August 2013 auf einem nicht versicherten Rückweg von einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit gewesen. In einem weiteren Bescheid vom 8. Mai 2014 - Az. - stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin aufgrund des tödlichen Unfalls ihres Ehemanns keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung habe und insbesondere weder Witwenrente noch Sterbegeld verlangen könne. Ihr Ehemann habe sich beim Unfall nicht auf einem versicherten Weg befunden. Zwar könne Ausgangspunkt des Weges zur Arbeit auch ein sogenannter dritter Ort sein. Der Rückweg von der Urlaubsreise aus E sei jedoch hauptsächlich von dem Vorhaben bestimmt gewesen, die Urlaubsreise zu beenden und nicht die ...

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