Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kfz kein Bestandteil des menschenwürdigen Existenzminimums. Eingliederungsleistungen. Rechtsgrundverweisung auf die Vorschriften des SGB 3. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Werbungskosten. Höhe der absetzbaren Fahrkosten für den Weg zur Arbeit mit dem Kfz. keine Absetzbarkeit von Darlehenszinsen und -tilgung für den Erwerb eines Kfz

 

Orientierungssatz

1. Ein Kraftfahrzeug ist im Grundsicherungsrecht nicht als existenznotwendig zu betrachten (vgl BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 = BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20 = NJW 2014, 3425). Dementsprechend sind im Bereich des SGB 2 Aufwendungen für das Kraftfahrzeug als nicht regelleistungsrelevant anzusehen.

2. Bei der Bewilligung von Leistungen zur Eingliederung darf der Grundsicherungsträger nur die in § 16 Abs 1 SGB 2 genannten Leistungen des SGB 3 erbringen. Im Hinblick auf die dortigen Leistungsvoraussetzungen, den Leistungsumfang und den Rechtsgrund ist er, auch für Leistungsteile, an die Vorschriften des SGB 3 gebunden.

3. Wurde keine Eingliederungsmaßnahme nach § 16 Abs 1 SGB 2 gewährt und der Arbeitsplatz des Leistungsberechtigten vom Grundsicherungsträger nicht im Rahmen der Leistungen zur beruflichen Weiterbildung geschaffen, so ist ein Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten gemäß § 5 BRKG ausgeschlossen.

4. Tilgungsraten im Rahmen einer Darlehensfinanzierung des Kraftfahrzeugs können nicht vom Einkommen abgesetzt werden. Dies gilt auch für Zinsraten, wenn sich im konkreten Einzelfall nicht feststellen lässt, in welcher Höhe sie durch die beruflich veranlasste Nutzung des Kraftfahrzeugs angefallen sind.

5. Es ist nicht zu beanstanden, dass bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit "nur" 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung gemäß § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b AlgIIV 2008 vom Einkommen abgesetzt werden, soweit keine höheren Aufwendungen nachgewiesen sind.

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2016 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2015 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt,

1. dem Kläger zu 1 für September und Oktober 2012 weitere Leistungen in Höhe von je 11,16 Euro, für November 2011 in Höhe von 1,27 Euro, für Dezember 2012 in Höhe von 17,76 Euro, für Januar 2013 in Höhe von 8,98 Euro und für Februar 2013 in Höhe von 30,84 Euro,

2. der Klägerin zu 2 für September und Oktober 2012 jeweils 11,16 Euro, für November 2012 1,27 Euro, für Dezember 2012 17,76 Euro, für Januar 2013 7,25 Euro, für Februar 2013 24,89 Euro,

3. der Klägerin zu 3 für September und Oktober 2012 jeweils 5,10 Euro, für November 2012 0,58 Euro, für Dezember 2012 8,12 Euro, für Januar 2013 3,31 Euro,

4. der Klägerin zu 4 für die Monate September und Oktober 2012 jeweils 4,38 Euro, für November 2012 0,50 Euro, für Dezember 2012 6,98 Euro und für Januar 2012 2,88 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu einem Zehntel.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren vom Beklagten höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. September 2012 bis 28. Februar 2013 unter Berücksichtigung weiterer Fahrkosten des Klägers zu 1 zum Arbeitsplatz, Kosten der Finanzierung des hierfür genutzten Kraftfahrzeuges, die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Behinderung des Klägers zu 1 sowie der Kosten einer Unfallversicherung für die Klägerinnen zu 3 und 4.

Der im Juli 1967 geborene Kläger zu 1, seine im Oktober 1975 geborene Ehefrau - die Klägerin zu 2 - sowie die gemeinsamen, 2005 und 2009 geborenen Töchter - die Klägerinnen zu 3 und 4 - bewohnten im streitigen Zeitraum unter der im Rubrum bezeichneten Adresse eine 86,33 m2 große Wohnung, für die eine Gesamtmiete in Höhe von 642,02 Euro (423,02 Euro Kaltmiete zuzüglich Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 219 Euro) monatlich fällig war.

Der Kläger zu 1 war seit September 2008 beim R Transportunternehmen in N beschäftigt. Befristet für dieses Arbeitsverhältnis wurde er ab 16. September 2008 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Der Kläger zu 1 zahlte für ein von ihm angeschafftes Kraftfahrzeug an die C Bank AG Darlehensraten in Höhe von 137,68 Euro, jeweils fällig am letzten Tag des Monats, zuzüglich monatlicher Zinsen.

Der Kläger zu 1 als Versicherungsnehmer schuldete der E Versicherungs AG aus einer Unfallversicherung zugunsten der Klägerinnen zu 3 und 4 als Versicherte monatliche Zahlungen in Höhe von 25,34 Euro.

Mit dem im August 2012 gestellten Antrag auf Weiterbewilligung machten die Kläger einkommensmindernd u. a. Fahrkosten über eine Pauschale von mehr als 0,20 Euro je km (für 5 Arbeitstage je Woche á 47 km einfache Entfernung), die Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung inklusive Schutzbrief in Höhe von 23...

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