Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhebung von Beitragszuschlägen zum Umlagebeitrag durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften

 

Orientierungssatz

1. Nach § 162 Abs. 1 S. 1 SGB 7 haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge auf die Beiträge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen. Durch Satzungsrecht können sie nach S. 3 Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, und Versicherungsfälle auf Betriebswegen sowie Berufskrankheiten ausnehmen.

2. Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist und durch vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert beträgt 68.557,67 Euro.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Beitragszuschlägen der Beklagten zum Umlagebeitrag.

Die Klägerin betreibt ein Hochbauunternehmen und ist Mitglied der Beklagten, vgl. Aufnahmebescheid und Veranlagungsbescheid vom 04. Februar 2009. Am 28. Mai 2009 kam es gegen 14.50 Uhr auf der von der Klägerin betriebenen Baustelle R Straße in B im sechsten Obergeschoss des Rohbaus eines Mehrfamilienhauses zum Einsturz einer im Aufbau befindlichen, 16,50 m langen und zwischen 1,70 und 2,20 m hohen Außenwand aus massivem Kalksandsteinmauerwerk, hinter welcher sich die zwei bei der Klägerin beschäftigten Bauarbeiter M D und T K aufgehalten hatten. Diese wurden von der umstürzenden Wand getroffen und mit erheblichen Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seinem Untersuchungsbericht vom 09. Juni 2009 aus, die Klägerin habe es versäumt, die Außenmauer auch während der einzelnen Bauzustände standsicher zu errichten und Festlegungen in der Montageanweisung zu treffen, ob und wie die ca. 16,50 m lange Außenwand bis zum Aufmauern der aussteifenden Querwände zu sichern sei. Es liege ein Verstoß gegen die Unfallverhütungsvorschrift “Bauarbeiten„ BGV C 22 § 6 Abs. 1 vor. Die Beklagte gewährte den beiden Bauarbeitern wegen der Unfallfolgen Entschädigungsleistungen in Höhe von 33.711,78 € und 26.420,49 € im Jahr 2009 sowie von 35.459,52 € und 38.198,81 € im Jahr 2010.

Die Beklagte erhob mit Beitragsbescheid vom 23. April 2010 von der Klägerin u.a. einen Beitragszuschlag in Höhe von 34.994,66 € (30 % der Summe des festgesetzten BG-Beitrags i.H.v. 116.648,88 €), weil die im Beitragsausgleichsverfahren ermittelte Eigenbelastung der Klägerin (0,5316) mehr als das Dreifache über der Durchschnittsbelastung aller Unternehmen (0,1419) lag. Gegen die Erhebung dieses Beitragszuschlags erhob die Klägerin unter dem 27. April 2010 Widerspruch mit der Begründung, dass der Unfall ihrer Beschäftigten auf höhere Gewalt zurückzuführen sei. Die Klägerin legte eine Wetterinformation der VdS Schadenverhütung GmbH vom 05. Juni 2009 mit Windmessungen in Tegel, Dahlem und Schönefeld, welche für den 28. Mai 2009 Windstärken von 8, 9 bzw. 7 ergaben, vor.

Die Beklagte holte unterdessen eine Auskunft beim Deutschen Wetterdienst (DWD) zur Wetterlage am Unfalltag und -ort vom 19. August 2010 ein, wonach am 28. Mai 2009 nach Auswertung der Radarbilder des Standorts Berlin-Tempelhof gegen 14.20 Uhr eine kleine Gewitterzelle aus Nordwest den Unfallort überquerte, bevor eine weitere Gewitterzelle zwischen 14.50 und 15.10 Uhr über Berlin hinweg zog, die ihr Intensitätsmaximum gegen 14.50 Uhr im Nordwesten Berlin erreichte. Aus den in Tegel und Tempelhof gemessenen Windspitzen von 17,7 m/s (8 Beaufort ≪Bft≫) bzw. 14,6 m/s (7 Bft) sei zu folgern, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 14.50 und 15.00 Uhr in unmittelbarer Gewitternähe am Unfallort maximale Windböen der Stärke 7 bis 8 Bft aus nördlichen Richtungen aufgetreten seien, wobei die Windmessungen in freiem unbebautem Gelände in einer Höhe von 10 m über Grund durchgeführt würden und die o.g. Werte sich auf bodennahe Luftschichten bezögen. Bewuchs, Bebauung und Landschaftsform könnten den Wind sowohl in Richtung als auch Geschwindigkeit deutlich abändern. Es seien z.B. zwischen Gebäuden oder Bewuchslücken durch Kanalisierung der Strömung deutliche Windgeschwindigkeitsüberhöhungen (sog. Düseneffekte) möglich. Ob und ggf. in welchem Ausmaße dies am Unfallort der Fall gewesen sei, lasse sich im Nachhinein nicht exakt angeben.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. September 2010 ergänzend mit, dass es die Klägerin versäumt habe, gemäß dem Merkblatt für das Aufmauern von Wandscheiben und den dort genannten DIN-Vorschriften das Mauerwerk auch während seiner Ausführung auszusteifen. Es hätten, solange die für das fertige Bauwerk vorgesehenen Aussteifungen noch nicht zur Verfügung gestanden hätten, zusä...

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