Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständiges Gericht bei Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit

 

Orientierungssatz

1. Nach § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter des Sozialgerichts dasjenige Gericht, dem der Richter angehört, ohne dessen Mitwirkung.

2. Das Landessozialgericht ist nach § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 45 Abs. 3 ZPO erst dann zu einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag berufen, wenn das zur Entscheidung bestimmte Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig wird. Damit kommt eine Zuständigkeit des LSG erst dann in Betracht, wenn sämtliche Richter des Sozialgerichts i. S. von § 45 Abs. 3 ZPO ausscheiden.

3. Die pauschale Ablehnung eines gesamten Gerichts oder Senats ohne Vortrag der Befangenheitsgründe, welche sich individuell auf den oder die beteiligten Richter beziehen, ist rechtsmissbräuchlich (BVerfG Beschluss vom 11. 3. 2013, BvR 2853/11).

4. Liegt ein rechtsmissbräuchliches Befangenheitsgesuch vor, so ist der abgelehnte Richter trotz des rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs entgegen § 45 Abs. 1 ZPO und entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 26a Abs. 2 StPO nicht an einer weiteren Mitwirkung gehindert.

 

Tenor

Die Gesuche an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, über den Befangenheitsantrag zu entscheiden oder eine Zuständigkeitsbestimmung vorzunehmen, werden als unzulässig verworfen.

 

Gründe

Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 hat Rechtsanwalt L „namens und in Vollmacht der Mandantschaft zunächst den Vorsitzenden Richter der Kostenkammer, Herrn M D, wegen Besorgnis der Befangenheit“ abgelehnt. Er sei nicht in der Lage, Kostensachen unvoreingenommen zu entscheiden, weil er vom Jobcenter OSL im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit bezahlt würde und damit rechnen müsse, bei Entscheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten. Außerdem lehnte er „ferner- auch im Namen des Klägers- sämtliche Vertreter des abgelehnten Richters und deren jeweilige Vertreter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Es stehe zu befürchten, dass die abgelehnten Richter einer Entscheidung über das Befangenheitsgesuch schon deshalb nicht unvoreingenommen gegenüberstünden, weil im Falle einer erfolgreichen Ablehnung die Arbeit der Kostenkammer durch diese übernommen werden müsse. Eine konkrete Vollmacht für das Verfahren hat Rechtsanwalt L nicht vorgelegt.

Im Hinblick auf den Befangenheitsantrag gegen alle Richter des Sozialgerichts Cottbus hat das Sozialgericht Cottbus den Rechtsstreit dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg „mit der Bitte um Entscheidung über den inzident gestellten Befangenheitsantrag bzw. Zuständigkeitsbestimmung“ vorgelegt.

Die Anträge sind unzulässig.

Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41-46 Abs. 1 und die §§ 47-49 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend (§ 60 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen; der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 2 ZPO). Gemäß § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch (§ 45 Abs. 2 S. 2 ZPO). Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 45 Abs. 3 ZPO).

Gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist. Zur Feststellung der Zuständigkeit kann jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 58 Abs. 2 SGG).

Nach diesen Regelungen hat der erkennende Senat weder über die Anrufung nach § 58 SGG noch über die Befangenheitsgesuche in der Sache selbst zu entscheiden, weil beide Anträge unzulässig sind.

Die Anrufung des Gerichts zur Bestimmung des zuständigen Sozialgerichts nach § 58 SGG ist schon deshalb unzulässig, weil gemäß § 45 Abs. 3 ZPO im Falle einer Beschlussunfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Sozialgerichts Cottbus nicht ein anderes Sozialgericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit über die Befangenheitsanträge zu entscheiden hätte, sondern dass zunächst höhere Gericht, also hier das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Folglich wäre in einem solchen Fall einer (kompletten) Beschlussunfähigkeit eines Sozialgerichts nicht ein anderes Sozialgericht zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zu bestimmen.

Auch die Anrufung zur Entscheidung über die Befa...

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