Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit. Klage gegen vorläufigen Bescheid. Rechtsschutzbedürfnis. vorläufige Leistung. Bindungswirkung. Ermessen. Einkommen. Selbsteinschätzung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen vorläufigen Bescheid.

 

Normenkette

SGB II § 40 Abs. 1 Nr. 1a; SGB III § 328; SGB X §§ 31, 39 Abs. 2; Alg II-VO § 2a Abs. 4; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 77, 96; ZPO § 114 S. 1, §§ 115, 119 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2007 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe bewilligt und

Rechtsanwalt M G,

Sstraße, B

beigeordnet. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Dem Kläger ist für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die von dem bedürftigen Kläger beabsichtigte Rechtswahrnehmung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Angefochten ist im Hautsacheverfahren der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2007, mit dem der Beklagte Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II) auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Sozialgesetzbuch (SGB III) vorläufig gewährt hat und dabei die vom Kläger begehrte Gewährung höherer (vorläufiger) Leistungen abgelehnt hat.

Die Auffassung des SG im angefochtenen Beschluss, diese Klage sei schon unzulässig, weil ein Rechtsschutzbedürfnis nicht bestehe, ist nach vorläufiger Ansicht des Senats unzutreffend. Die Möglichkeit gegen eine Entscheidung über eine vorläufige Leistung Widerspruch und Klage zu erheben, ist in Literatur und Rechtsprechung unumstritten. Zwar ist die Bindungswirkung (§ 77 SGG) eines solchen Bewilligungsbescheid von vornherein bis zur Ersetzung durch den endgültigen Verwaltungsakt begrenzt. Ergeht die endgültige Entscheidung, so erledigt sich dadurch der vorläufige Verwaltungsakt (§ 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]). Der vorläufige Bescheid regelt aber im Sinne des § 31 SGB X bis zum Erlass des endgültigen Bescheides den Einzelfall. Mit einer Klage kann also die fehlerfreie Ermessensausübung der Beklagten überprüft werden, hier konkret die Entscheidung der Beklagten, nicht auf Grundlage einer Selbsteinschätzung und den bereits vorgelegten Unterlagen des Steuerberaters für das Jahr 2006 zu entscheiden, sondern von den Ergebnissen des Jahres 2005 lediglich einen pauschalen Abzug vorzunehmen. Allerdings kann der Kläger einen solchen Anspruch lediglich im Rahmen einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (nicht im Wege der isolierten Anfechtungsklage und nicht im Wege einer Anfechtungs- und Leistungsklage) geltend machen, worauf im Klageverfahren hinzuwirken sein wird (§ 123 SGG). Entgegen der Auffassung des SG ist auch nicht erkennbar, dass ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil einerseits der Bewilligungsabschnitt bereits abgelaufen ist und andererseits der Steuerbescheid für das Jahr 2007 noch nicht vorliegt, so dass eine abschließende Entscheidung nach § 2 a Abs. 4 ALG II-VO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung noch nicht getroffen werden kann. Soweit das SG das Interesse des Klägers an einer günstigeren vorläufigen Entscheidung zwar grundsätzlich anerkennt, ihn insoweit aber auf einen Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verweisen will, ist dem entgegenzuhalten, dass ein solcher Antrag nur dort zulässig sein kann, wo auch ein Hauptsacheverfahren zulässig ist. Soweit ein vorläufiger Bescheid nicht wegen der behaupteten fehlerhaften Ermittlung der vorläufig festgestellten Höhe angegriffen ist, dürfte ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen der dann eingetretenen Bindungswirkung des Bescheides dahin, was vorläufig gelten soll, unzulässig sein.

Der zulässigen Klage kommt auch in der Sache die hinreichende Erfolgsaussicht zu. Es bestehen Zweifel daran, dass die Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerfrei ist, abweichend von der üblichen Praxis im vorliegenden Fall der Selbsteinschätzung des Klägers und den von der für ihn tätigen Steuerberatungsgesellschaft vorgelegten Unterlagen für das Geschäftsjahr 2006 keinerlei Bedeutung für die Bemessung der Leistungen zuzumessen und die vorläufig gewährten Leistungen allein nach dem zu versteuernden Einkommen für das Jahr 2005 zu bemessen. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers zu den erheblichen Rückgängen in seinen Einnahmen unwahr sind, bestehen bislang nicht. Für die ...

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