Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Telefonberaterin in Call-Center. Weisungsrecht des Arbeitgebers. Vertragsverhältnis. dynamische Verweisung. Feststellbarkeit des Adressaten eines Verwaltungsaktes. Erlass eines Beitragsbescheides durch Einzugsstelle trotz Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Adressat eines Verwaltungsaktes ist feststellbar, wenn er anhand der den Betroffenen bekannten Umstände hinreichend sicher bestimmt werden kann.

2. Das eine Sozialversicherungspflicht begründende Weisungsrecht des Arbeitgebers kann sich aus einem außerhalb des Beschäftigungsvertrages bestehenden Regelwerk ergeben, wenn im Beschäftigungsvertrag in Form einer dynamischen Verweisung auf dieses Regelwerk Bezug genommen wird.

 

Orientierungssatz

Die Einzugsstelle ist nicht gehindert, trotz durchgeführter Betriebsprüfung beim Arbeitgeber einen Beitragsbescheid zu erlassen, wenn die Betriebsprüfung ohne Beanstandung geblieben ist.

 

Tenor

Die Berufungen der Klägerinnen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Mai 2005 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen der Beigeladenen zu 1 im Berufungsverfahren tragen die Klägerinnen als Gesamtschuldnerinnen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Der Streitwert für das Klage- und Berufungsverfahren wird endgültig auf je 3.240,27 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin zu 1 Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für eine Beschäftigung der Beigeladenen zu 1 im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1997 in Höhe von 3.240,27 € an die Beklagte zu entrichten hat.

Die Klägerinnen waren im streitgegenständlichen Zeitraum Dienstleistungsunternehmen, die den Telefonservice für andere Firmen übernahmen. Die Klägerin zu 1 wurde und wird in der Rechtsform der GmbH & Co. KG geführt, die Klägerin zu 2 war und ist eine GmbH. Die Klägerinnen stellten ihren Firmenkunden sog. Call-Center mit Bildschirmarbeitsplätzen zur Verfügung, in denen die Aufträge der Firmen erledigt wurden. Zu den Aufgaben, die in diesen Call-Centern erledigt werden mussten, gehörte neben der telefonischen Annahme von Aufträgen für die Firmen je nach dem mit der betreuten Firma geschlossenen Vertrag auch die telefonische Beratung von Kunden dieser Firmen (u. a. Möbel- und Finanzberatung, Bearbeitung von Reklamationen usw.). Die Klägerinnen schlossen mit denjenigen Personen, die in den Call-Centern die Arbeit verrichteten, Vereinbarungen und führten außerdem für diese in den Vereinbarungen als “Auftragnehmer„ bezeichneten Personen Schulungen durch, da viele der in den Call-Centern zu erledigende Aufgaben eine bestimmte Qualifikation erforderten. Die Durchführung einer Grundschulung war Voraussetzung für ein Tätigwerden im Call-Center, die Teilnahme an zusätzlichen Qualifizierungsschulungen war nach Angaben der Klägerinnen freiwillig. Die Bezahlung der “Auftragnehmer„ erfolgte durch die Klägerinnen, nicht durch die von ihnen betreuten Firmen.

Im Zeitraum vom 29. September bis 23. Oktober 1997 führten die (ehemalige) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die (ehemalige) Landesversicherungsanstalt B. eine Betriebsprüfung bei den Klägerinnen durch. Die Prüfung umfasste den Zeitraum vom 1. Dezember 1992 bis 31. Dezember 1997. Über das Ergebnis dieser Betriebsprüfung schlossen sie und die Klägerinnen im Oktober 1998 einen Vergleich, der mit Vereinbarung vom November/Dezember 1998 ergänzt wurde. Darin kamen sie überein, dass ab 1. Januar 1998 bei den Klägerinnen alle Tätigkeiten aufgrund der gegenwärtigen Arbeits- und Ablauforganisation in Form von Beschäftigungen gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ausgeübt werden und alle Mitarbeiter der Klägerinnen ab diesem Zeitpunkt der Sozialversicherung unterliegen, soweit nicht Versicherungsfreiheit aufgrund des § 8 SGB IV gegeben ist (Nr. 1 des Vergleichs); wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 3 bis 5 der Verwaltungsakten der Beklagten und Bl 148a der Senatsakten verwiesen.

Die 1943 geborene Beigeladene zu 1 ist seit 15. Oktober 1980 bei der Beklagten krankenversichert. Sie war ab 12. September 1996 bei der Klägerin zu 1 als Auftragnehmerin tätig und bei der Beklagten freiwillig versichert, da die Beklagte zunächst von einer hauptberuflich durchgeführten selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 ausging. Zwischen der Beigeladenen zu 1 und der Klägerin zu 1 wurde ein Vertrag geschlossen, der u. a. folgende Vereinbarungen enthielt:

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Gegenstand

1. Der Auftragnehmer übernimmt die Vertretung der Absatzinteressen der W. T. & V. GmbH & Co.

2. Ausschließliche Grundlage zu Beginn, Dauer und Umfang der Aktionssätze ist die Vereinbarung, die zwischen der W. T. & V. GmbH & Co. und dem jeweiligen Kunden abgeschlossen wurde. Ein Anspruch auf Dauer oder wiederholten Einsatz wird durch diesen Vertrag nicht begründet. Die W. T. & V. GmbH & Co. behält sich insbesondere vor, vereinbarte Aktionen im Kundeninteresse abzukürzen, aufzugeben oder zeitlich zu verändern.

3. Erklärt sich der...

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