Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. angestellter Jurist bei nichtanwaltlichem Arbeitgeber. berufsspezifische Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 ist in Bezug auf in einem nicht anwaltlichen Unternehmen angestellte Juristen nur für einen Syndikusanwalt, nicht aber für einen Justiziar oder Rechtsreferenten möglich.

2. Die Befreiung eines Syndikusanwalts ist nicht von vornherein durch die Doppel- oder Zweiberufe-Theorie (vgl BGH vom 25.2.1999 - IX ZR 384/97 = BGHZ 141, 69; ebenso EuGH Große Kammer vom 14.9.2010 - C-550/07 P = ABl EU 2010, Nr C 301, 2), die im Sozialrecht keine Anwendung findet, ausgeschlossen.

3. Die Befreiung orientiert sich dann am Inhalt der ausgeübten Tätigkeit, die ihrem Kernbereich nach anwaltstypisch sein muss.

4. Vier Kriterien, die kumulativ vorliegen müssen, qualifizieren eine angestellte Tätigkeit als anwaltstypisch: die Rechtsberatung, die Rechtsentscheidung, die Rechtsgestaltung und die Rechtsvermittlung (Anschluss an LSG Darmstadt vom 29.10.2009 - L 8 KR 189/08).

5. Das Kriterium der Rechtsentscheidung setzt voraus, dass der angestellte Rechtsanwalt gleichberechtigt an richtungsweisenden internen Entscheidungsvorgängen des Unternehmens teilnimmt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.04.2014; Aktenzeichen B 5 RE 3/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. Mai 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 05.07.2010 bis 04.10.2011 in Bezug auf seine Tätigkeit als angestellter Jurist in einem Chemieunternehmen.

Der am 1983 geborene Kläger hat das erste und zweite juristische Staatsexamen abgelegt. Anschließend war er vom 01.03.2010 an bei der SE in .als Jurist angestellt. Am 05.07.2010 wurde der Kläger zudem als Rechtsanwalt zugelassen und in das Anwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe eingetragen. Seitdem war er Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, von wo einkommensbezogene Beiträge erhoben wurden. Seine Zulassung als Rechtsanwalt wurde am 04.10.2011 widerrufen und die Löschung im Anwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe erfolgte zeitgleich (Bl. 35 SG-Akte). Am 30.11.2011 beendete er seine Tätigkeit bei der B. SE und übt seither eine Tätigkeit als Richter aus.

Für die Tätigkeit bei der SE beantragte der Kläger bei der Beklagten mit Schreiben vom 23.09.2010 die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Seinem Antrag legte der Kläger eine von dem Zeugen K. ausgestellte Tätigkeitsbeschreibung - Anlage zum Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung - der SE vom 23.09.2010 bei (Bl. 2 Verwaltungsakte). Danach sei der Kläger als Rechtsanwalt tätig. Die Bearbeitung und Bewertung von Rechtsfragen, die Herausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten und deren Umsetzung erfolge eigenständig und unabhängig. Die Aufgaben des Klägers umfassten die unabhängige und selbständige Beratung der Unternehmenseinheiten und der Konzerngesellschaften der SE. Daneben gehöre zu seinen Tätigkeiten die Erstellung von Gutachten in juristischen - insbesondere sozial- und arbeitsrechtlichen - Fragen. In diesem Bereich vertrete der Kläger die SE sowohl außergerichtlich als auch vor Arbeits- und Sozialgerichten sowie ordentlichen Gerichten. Hinsichtlich rechtlicher Fragen habe der Kläger eine eigene Entscheidungskompetenz und vertrete seine Ansicht im Namen der SE, insbesondere gegenüber Aufsichtsbehörden, nach außen. Daneben habe der Kläger wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung von betrieblichen Regelungen wie Betriebsvereinbarungen und Satzungen. Bei der Konzeption und Umsetzung von personalpolitischen Instrumenten sei der Kläger insbesondere im Hinblick auf die juristische Prüfung und Bewertung in eigener Verantwortung beteiligt. Darüber hinaus stelle der Kläger rechtliche Änderungen im Bereich des Sozialrechts und deren Auswirkungen auf das Unternehmen dar und präsentiere Lösungs- und Umsetzungsvorschläge.

Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger mit Schreiben vom 15.12.2010 den mit der SE am 01.02.2010 geschlossenen Arbeitsvertrag vor (Bl. 26 ff. Verwaltungsakte); ein Organigramm sowie ein Stellenanforderungsprofil könne er jedoch aus Gründen der Vertraulichkeit nicht vorlegen. Nach den Angaben im Arbeitsvertrag war er ab dem 01.03.2010 als Jurist bei der SE tätig. Die Arbeitskraft war voll für das Unternehmen einzusetzen, die Aufnahme einer Nebentätigkeit bedurfte der vorherigen schriftlichen Genehmigung des Arbeitgebers (Arbeitsvertrag Nr. 6). Daneben ...

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