Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. Rechtsanwalt. Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. abhängige Beschäftigung bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber (Reiseversicherung) als Vorstandsreferent und Compliance-Beauftragter. kein Erfordernis der Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit. Beschäftigung darf nicht Versagung, Widerruf oder Rücknahme der Rechtsanwaltschaftszulassung rechtfertigen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtsanwalt, der kraft Gesetzes Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist, hat für eine abhängige Beschäftigung bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, solange die Beschäftigung keinen Tatbestand erfüllt, der eine Versagung der Zulassung nach § 7 Nr 8 BRAO, die Rücknahme der Zulassung oder ihren Widerruf nach § 14 Abs 1, Abs 2 Nr 8 BRAO rechtfertigt.

2. Es ist nicht erforderlich, dass es sich bei der Beschäftigung um eine anwaltliche Tätigkeit handelt.

(Die Revision wurde vom Senat zugelassen).

 

Normenkette

SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5, § 1 S. 1 Nr. 1; BRAO § 7 Nr. 8, § 14 Abs. 1, 2 Nr. 8, § 46

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2016; Aktenzeichen 1 BvR 2584/14)

BSG (Urteil vom 03.04.2014; Aktenzeichen B 5 RE 9/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23.03.2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.03.2010 aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage und Berufungsverfahren sowie die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Berufungsverfahren trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht für eine Tätigkeit als Vorstandsreferent und Compliance-Beauftragter einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung geltend.

Der 1980 geborene Kläger ist seit dem 22.02.2008 Mitglied der Rechtsanwaltskammer K. und Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Die Mitgliedschaft im Versorgungswerk beginnt mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft eingetreten oder die Voraussetzungen für eine Befreiung weggefallen sind, sofern in diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet ist (§ 10 Abs 1 Satz 1 der Satzung des Versorgungswerks, im Folgenden: Satzung). Der monatliche Regelpflichtbeitrag entspricht nach § 11 Abs 1 der Satzung dem jeweils geltenden Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten nach § 158 SGB VI und ist ein bestimmter Teil der für den Sitz des Versorgungswerkes maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenze nach § 159 SGB VI (Beitragssatz). Mitglieder, die von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI befreit sind, haben mindestens den Beitrag zu entrichten, der gemäß §§ 158 und 159 SGB VI in der jeweils geltenden Fassung an die gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten wäre (§ 11 Abs 2 Satz 2 der Satzung). Das Versorgungswerk gewährt seinen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen folgende Leistungen: Altersrente, Berufsunfähigkeitsrente, Hinterbliebenenrente, Sterbegeld, Kapitalabfindung. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch (§ 19 Abs 1 der Satzung).

Ab dem 01.10.2008 war der Kläger bei der E. Reiseversicherung AG beschäftigt. Der Anstellungsvertrag war zunächst bis zum 31.12.2009 befristet. Aufgrund seines Antrages vom 07.10.2008 wurde er von der Beklagten mit Bescheid vom 25.11.2008 (Bl 6 der Verwaltungsakte) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. In dem Bescheid wird ausgeführt, die Befreiung gelte nur für die zeitlich befristete Beschäftigung vom 01.10.2008 bis zum 31.12.2009 als Volljurist/Mitarbeiter bei der E. Reiseversicherung AG.

Auf eine interne Stellenausschreibung bewarb sich der Kläger im Unternehmen erfolgreich auf die Stelle eines Vorstandsreferenten. In der Ausschreibung (Bl 16 der Verwaltungsakte) wird die Tätigkeit wie folgt beschrieben:

“Das Aufgabengebiet umfasst die Beratung, Unterstützung und Entlastung des Vorstandsvorsitzenden bei seinen Aufgaben im Konzern, in Verbänden, Gremien und im politischen Umfeld. Sie erstellen Referate, Präsentationen, Publikationen sowie Berichte und Analysen. Zu Ihren weiteren Aufgaben gehört das eigenverantwortliche Vor- und Nachbereiten von Aufsichtsratssitzungen und Besprechungen. Außerdem erledigen Sie die Korrespondenz und unterstützen den Vorstandsvorsitzenden bei der Budgeterstellung. Für diese Aufgabe benötigen Sie ein erfolgreich abgeschlossenes Studium und mehrere Jahre Berufserfahrung, bevorzugt in der Versicherungsbranche. Sehr gute analytische und kommunikative Fähigkeiten, konzeptionelles Denken und Organisation...

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