Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs 2 SGB 7. generelle Geeignetheit. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. posttraumatische Belastungsstörung. Rettungssanitäter. wiederholte Konfrontation mit traumatischen Ereignissen bei anderen Personen

 

Orientierungssatz

Zur Nichtanerkennung einer PTBS eines Rettungssanitäters als Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs SGB 7, da bisher weder gesicherte Erkenntnisse dafür vorliegen, dass (allein) die wiederholte Konfrontation der im Rettungsdienst tätigen mit traumatischen Ereignissen bei anderen Personen generell geeignet ist, eine PTBS zu verursachen noch ausreichend gesicherte neue medizinische Erkenntnisse über ein "deutlich erhöhtes Risiko" bei Rettungssanitätern vorliegen, eine beruflich verursachte PTBS zu entwickeln.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.06.2023; Aktenzeichen B 2 U 11/20 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 08.11.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten zuletzt noch um die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ (Wie-BK).

Der 1966 geborene Kläger legte bei der Beklagten am 14.07.2016 einen Entlassungsbericht der Deutschen Rentenversicherung (DRV) vor, in dem u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 f 43.1) festgestellt wurde. In dem Entlassungsbericht des Leitenden Arztes S. und des Arztes Dr. G. von der M. -Klinik am V. in D. wurde ausgeführt, dass der Kläger im Rettungsdienst viele traumatisierende Erlebnisse gehabt habe, z.B. Amoklauf, Suizide und andere das Leben sehr belastende Momente. Gleichzeitig habe der Kläger über Personalknappheit und ähnliche ihn belastende Vorgänge in der Rettungswache berichtet, so dass aus allem das Gefühl resultiert sei, es werde schwieriger und der Rückzug sei angesagt. Konkret habe die beschriebene Symptomatik nach zwei Amokläufen begonnen, als der Kläger als Helfer eingesetzt worden sei, sowie nach Suiziden von zwei miteinander befreundeten Mädchen. Hierzu wurde in dem Bericht die Auffassung vertreten, dass eine Rückkehr des Klägers in seinen Beruf nicht sinnvoll und die zeitnahe Aufnahme einer kontinuierlichen ambulanten Psychotherapie angezeigt sei. Im Gegensatz zu den Vorbehandlern werde nicht von einer depressiven Episode ausgegangen. Die Kriterien der PTBS seien nach der ICD-10 erfüllt.

Mit Bescheid vom 25.08.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK im Hinblick auf die bei dem Kläger festgestellte PTBS ab. Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Erkrankung auch nicht als eine Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen sei. Die PTBS gehöre nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste genannten Erkrankungen, weswegen eine Anerkennung als BK nicht möglich sei (sog. Listenprinzip). Eine Anerkennung als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII setze voraus, dass nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft bei bestimmten Personengruppen durch ihre berufliche Tätigkeit die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als BK erfüllt seien. Derzeit lägen jedoch keine „neuen Erkenntnisse“ dahingehend vor, dass bestimmte Personengruppen durch ihre berufliche Tätigkeit (hier: insbesondere im Rettungsdienst) durch damit einhergehende psychische und körperliche Belastungen körperliche oder psychische Erkrankungen erlitten. Die Frage sei gegenwärtig auch nicht Gegenstand entsprechender Forschungsvorhaben, so dass die PTBS auch keine Wie-BK sei (mit Hinweis auf LSG Baden-Württemberg vom 01.08.1995 - L 10 U 724/95 - sowie vom 16.08.2001 - L 7 U 18/01; Erlass des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 27.11.2000 zu einer ähnlichen Thematik sowie Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.01.2009). Neue medizinisch-wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Bedeutung von psychischen Belastungsstörungen für bestimmte Berufsgruppen, die seit der letzten Änderung der Berufskrankheiten Verordnung bekannt geworden seien, lägen nicht vor. Ob der Tatbestand eines Arbeitsunfalls nach § 8 SGB VII erfüllt sei, werde in einem gesonderten Ermittlungsverfahren überprüft.

Die Bevollmächtigten des Klägers begründeten ihren deswegen eingelegten Widerspruch vom 27.09.2016 u.a. damit, dass das LSG Baden-Württemberg bereits 2009 entschieden habe, dass posttraumatische Belastungsstörungen bei Mitgliedern des Rettungsdienstes, der Feuerwehr oder bei Polizisten wie eine BK anzuerkennen seien (mit Hinweis auf LSG Baden-Württemberg vom 14.05.2009 - L 6 U 845/06, juris Rn. 39). Das BSG habe hierzu einen Katalog von Prüfkriterien entwickelt, der vorliegend erfüllt sei, weswegen die PTBS des Klägers als Wie-BK anzuerkennen sei (mit Hinweis auf BSG vom 20.05.2010 - B 2 U 19/09 R). Bei Mitarbeitern des Rettungsdienstes sei die Möglichkeit einer Einwirkung, die konkret geeignet sei, eine PTBS hervorzurufen, bei jeder Einsatzfahrt und damit ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge