Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zweitbescheid. Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2 bei Strafgefangenen. Ersatzfreiheitsstrafe gem § 43 StGB. Verletzung der Mitwirkungspflicht gem § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 1

 

Leitsatz (amtlich)

Auch die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB ist eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung nach § 7 Abs 4 S 2 SGB 2.

 

Orientierungssatz

1. Auch ein Zweitbescheid, durch den ein bindender Erstbescheid bestätigt wird, eröffnet den Klageweg neu (vgl BSG vom 12.12.1991 - 7 RAr 26/90 = SozR 3-4100 § 94 Nr 1).

2. Ein Arbeitsuchender verletzt seine Mitwirkungspflicht gem § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 1, wenn er weiß bzw wissen muss, dass er während der Zeit der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe unter seiner bisherigen Adresse nicht erreichbar ist.

3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2 bei stationärer Unterbringung greift nicht durch, wenn es dem Untergebrachten objektiv möglich ist, aus der Anstalt heraus einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens 15 Wochenstunden nachzugehen. Der Begriff der stationären Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB 2 ist danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Ist die Einrichtung so strukturiert, dass es dem Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB 2 genügt, so ist der Hilfebedürftige dem SGB 12 zugewiesen (vgl BSG vom 7.5.2009 - B 14 AS 16/08 R = FEVS 61, 241). Diese Erwägungen gelten auch nach der Neufassung des § 7 SGB 2.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.02.2011; Aktenzeichen B 14 AS 81/09 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie die Gewährung von Leistungen für Juni 2007 streitig.

Der 1944 geborene Kläger bezog ab dem 01.01.2005 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) von der Beklagten.

1.) Mit Bescheid vom 24.11.2006 bewilligte ihm die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2006 bis 31.05.2007 in Höhe von monatlich 641,56 € (Regelleistung 345 €, Mehrbedarfe für kostenaufwändige Ernährung 25,56 €, Kosten für Unterkunft und Heizung 271 €).

a) Nachdem der Kläger in der Zeit vom 02.01.2006 bis 06.03.2006 in einer Beschäftigung gestanden und Einkommen erzielt hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2006 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Monat Februar 2006 teilweise in Höhe von 339,20 € auf und setzte die Erstattung dieses Betrages gem. § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fest. Weiter verfügte sie die Aufrechnung des Rückforderungsbetrages mit den laufenden Leistungen in Höhe von 50 € monatlich. Den hiergegen eingelegten Widerspruch nahm der Kläger zurück. Für die Zeit vom Februar bis April 2007 erfolgte die Aufrechnung in Höhe von monatlich 50 €, von Juni bis November 2007 in Höhe von monatlich 30 € und im Dezember 2007 in Höhe von 9,20 €.

b) Am 30.04.2007 teilte die Justizvollzugsanstalt Mannheim der Beklagten mit, der Kläger sei vom 21.04.2007 bis 23.08.2007 inhaftiert. Ab dem 04.05.2007 war er Freigänger. Mit Bescheid 15.05.2007 hob die Beklagte den Bescheid vom 24.11.2006 für die Zeit ab dem 21.04.2007 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Weiter teilte sie mit, es sei beabsichtigt, die zu Unrecht gewährten Leistungen mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft gemäß § 50 SGB X zurückzufordern. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

c) Nachdem der Beklagten über einen Datenabgleich bekannt geworden war, dass der Kläger bei der Firma N Service mit System GmbH beschäftigt war und nachdem diese dessen Einkommen mitgeteilt hatte (27. bis 30. November 2006: 48,75 €, Dezember 2006: 199,88 €, Januar 2007: 178,75 €, Februar 2007: 221 €, 1. bis 19. März 2007: 144,63 €), hob sie nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 08.08.2007 den Bewilligungsbescheid vom 24.11.2006 für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.04.2007 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X teilweise in Höhe von 424,90 € auf, und zwar für Dezember 2006 in Höhe von 161,40 €, für Januar 2007 in Höhe von 79,90 €, für Februar 2007 in Höhe von 63 €, für März 2007 in Höhe von 96,80 € und für April 2007 in Höhe von 23,80 €. Für die Zeit ab 21.04.2007 hob sie die Bewilligung ganz in Höhe von 494,08 € auf mit der Begründung, in der Zeit der Inhaftierung des Klägers habe gem. § 7 Abs. 4 SGB II kein Leistungsanspruch bestanden. Unter Berücksichtigung einer Nachzahlung setzte sie den Erstattungsbetrag gem. § 50 SGB X mit insgesamt 718,12 € fest.

Hiergegen erhob ...

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