Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II. sofortige Vollziehbarkeit. Erstattungsbescheid nach § 50 SGB 10. einstweiliger Rechtsschutz. verfassungskonforme Auslegung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Einkommensberücksichtigung. Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens und der Änderung der Verhältnisse

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 39 Nr 1 SGB 2 haben Widerspruch und Klage gegen Erstattungsbescheide, die auf § 50 Abs 1 SGB 10 gestützt werden, keine aufschiebende Wirkung, unabhängig davon, ob die Festsetzung der Erstattung gemäß § 48 Abs 3 S 2 SGB 10 mit der Aufhebung verbunden oder hierüber mit einem gesonderten Bescheid entschieden worden ist (entgegen LSG Stuttgart vom 14.6.2006 - L 13 AS 1824/06 ER-B). Dem Umstand, dass die Regelung in § 39 SGB 2 unter Gleichheitsgesichtspunkten problematisch ist, kann durch eine großzügige Anordnung der aufschiebenden Wirkung Rechnung getragen werden.

 

Orientierungssatz

Die aufschiebende Wirkung ist nach Interessenabwägung gem § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG anzuordnen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung nach Einkommenserzielung (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10) insofern bestehen, als nicht festgestellt wurde, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe Einnahmen konkret zugeflossen sind, und nicht ersichtlich ist, ob § 40 Abs 2 S 1 SGB 2 berücksichtigt wurde.

2. Nach § 2 Abs 2 S 1 AlgIIV idF vom 20.10.2004 sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 SGB 10 gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums (§ 48 Abs 1 S 3 SGB 10).

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. August 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 05. Januar 2006 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Dezember 2005 angeordnet wird.

Die Antragsgegnerin trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Streitig ist die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage.

Der 1972 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist seit 1991 verheiratet. Zusammen mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern bewohnt er eine 75 m 2 große Wohnung. Auf seinen Antrag vom 19.10.2004 erließ die Antragsgegnerin den Bescheid vom 23.11.2004. Darin bewilligte sie dem Antragsteller, seiner Ehefrau und seinen Kindern (Bedarfsgemeinschaft) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.03.2005 in Höhe von monatlich 1255,79 €. Auf seinen weiteren Antrag vom 07.03.2005 erging der Bescheid vom 23.03.2005, mit dem Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2005 bis 30.09.2005 in Höhe von monatlich 719,05 € gewährt wurden. Für die Zeit vom 01.02.2005 bis 30.06.2005 wurden an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen (Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Kosten der Unterkunft) in Höhe von 4322,82 € gezahlt.

Die Ehefrau des Antragstellers war bis zum 31.12.2004 sozialversicherungspflichtig beschäftigt und ab 01.01.2005 arbeitslos. Sie erhielt von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.01.2005 Arbeitslosengeld ab 01.01.2005 bis 31.12.2005 bewilligt. Der tägliche Leistungssatz belief sich auf 36,09 €. Die erste Zahlung erfolgte vermutlich im Februar 2005.

Mit einem an den Antragsteller gerichteten Bescheid vom 12.07.2005 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab 01.02.2005 auf, weil eine Hilfebedürftigkeit nicht mehr gegeben sei. Mit einem zweiten Bescheid, ebenfalls mit Datum vom 12.07.2005, forderte die Antragsgegnerin Leistungen in Höhe von 4322,82 € vom Antragsteller unter Hinweis auf die Aufhebung der Bewilligung ab 01.02.2005 auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 SGB X zurück. Dem Widerspruch des Antragstellers gab die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 05.12.2005 teilweise statt. In Abänderung des Bescheides vom 12.07.2005 wurde festgestellt, dass sich der Rückforderungsbetrag auf 2267,79 € mindert. Im Übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das der Ehefrau des Antragstellers mit Bescheid vom 28.01.2005 zuerkannte Arbeitslosengeld sei als Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II anzurechnen. Es sei davon auszugehen, dass die erste Zahlung im Februar 2005 zugeflossen sei. Für die Zeit von Januar bis März 2005 sei somit nach § 48 SGB X zu beurteilen, ob die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II aufgehoben werden könne. Dies sei der Fall, wenn - wie hier - nach Bewilligung der Leistung Einkommen erzielt worden sei. Für den Monat Februar 2005 sei der gesamte Leistungsbetrag von 1255,79 € zurückzuzahlen und für den Monat Mä...

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