Entscheidungsstichwort (Thema)

Sitzungspolizei: Krawattenzwang in der Hauptverhandlung. Zurückweisung eines Nebenklägervertreters wegen unvollständiger Amtstracht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Krawattenzwangs in der Hauptverhandlung in Strafsachen

 

Verfahrensgang

AG Mannheim (Entscheidung vom 27.10.2008; Aktenzeichen 29 Ds 408 Js 15343/07)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Beschwerde des Nebenklägervertreters wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts - Strafrichter - Mannheim vom 27. Oktober 2008 - Zurückweisung des Nebenklägervertreters in dieser Hauptverhandlung - rechtswidrig war.

  • 2.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

In vorliegender Strafsache waren in der Hauptverhandlung des Amtsgerichts - Strafrichter - Mannheim am 27.10.2008 auch Nebenkläger und Nebenklägervertreter erschienen. Zu Beginn der Verhandlung beanstandete das Amtsgericht die Amtstracht des Nebenklägervertreters, der unter der geschlossenen Robe einen Anzug und ein Hemd in dezenter Farbe, hingegen keine Krawatte trug. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist hierzu festgehalten:

"Das Gericht stellt fest, dass der Nebenklägervertreter RA S. unter der Robe keine Krawatte trägt und somit nicht in ordnungsgemäßer Amtstracht erschienen ist.

RA S. wird aufgefordert, sich eine Krawatte zu besorgen.

Es wird angeboten, die Verhandlung hierfür für 15 Minuten zu unterbrechen.

Das Gericht weist darauf hin, dass RA S. gem. § 176 GVG von der Verhandlung ausgeschlossen werden kann, wenn er nicht in ordnungsgemäßer Amtstracht auftritt.

RA S., dem Nebenkläger und allen anderen Beteiligten wird Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Der Verteidiger RA D. bietet RA S. an, ihm eine Krawatte zur Verfügung zu stellen.

RA S. lehnt dieses Angebot ab.

Die Verhandlung wird unterbrochen von 9:13 Uhr - 9.15 Uhr.

Es ergeht Beschluss gem. Anlage.

RA S. entfernt sich aus dem Sitzungssaal.

Dem Nebenkläger wird bekannt gegeben, dass das Gericht nicht beabsichtigt, die Verhandlung zu unterbrechen, da zum einen die Sachlage sowohl ihm als auch dem Nebenklägervertreter bekannt war. Zum anderen dem Nebenkläger keine schwerwiegenden Nachteile entstehen, wie z.B. einem Angeklagten.

Der Nebenkläger stellt hierzu keinen Antrag..."

Durch diesen als Anlage zu Protokoll genommenen Beschluss wurde der Nebenklägervertreter

"für die Hauptverhandlung vom 27.10.2008 ... gemäß § 176 GVG zurückgewiesen und solange nicht zugelassen, als er entgegen § 21 Abs. 1 des baden-württembergischen Gesetzes zur Ausführung des GVG und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit die übliche Amtstracht nicht trägt".

Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung stellte das Amtsgericht nach mehr als eineinhalbstündiger Zeugenvernehmung des Nebenklägers das Verfahren gegen die beiden Angeklagten gemäß § 153 Abs. 2 StPO bzw. - vorläufig - gemäß § 153 a Abs. 2 StPO und - endgültig - durch Beschluss vom 05.11.2008 ein, mit welchem es zugleich dem Nebenkläger dessen notwendige Auslagen auferlegte.

Mit durch Schriftsatz vom 21.11.2008 inhaltlich ausgeführter Beschwerde vom 07.11.2008 wendet sich der Nebenklägervertreter gegen seine Zurückweisung.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, sie als unbegründet zu verwerfen.

Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und den Inhalt der Beschwerdebegründung wird Bezug genommen.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Seiner Statthaftigkeit stehen weder § 305 Satz 1 StPO, der Beschwerden im Hauptverfahren einschränkt, noch § 181 GVG, der sitzungspolizeiliche Maßnahmen weitgehend einer Anfechtung entzieht, entgegen.

a)

Die angefochtene Entscheidung ist in ihren prozessualen Auswirkungen nicht - wie von § 305 Satz 1 StPO vorausgesetzt - auf die Vorbereitung eines mit ihr in innerem Zusammenhang stehenden Urteils reduziert, sondern entfaltet eine jenseits solcher Kohärenzen liegende eigenständige Bedeutung für das Mandatsverhältnis zwischen Nebenkläger und Nebenklägervertreter, der darüber hinaus auch beschwerdeberechtigte "dritte Person" im Sinne der Ausnahmeregelung des § 305 Satz 2 StPO ist (OLG Karlsruhe NJW 1977, 309 ff.; OLG München NStZ 2007, 120).

b)

§ 181 GVG lässt zwar nur die (sofortige) Beschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln (§§ 178, 180 GVG) zu und schließt damit grundsätzlich eine solche gegen andere sitzungspolizeiliche Maßnahmen - wie die hier angegriffene (§ 176 GVG) - aus (Kissel/Mayer, GVG,5. Aufl., 2008, Rn 48 zu § 176 und Rn 1 zu § 181; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., 2008, Rn 16 zu § 176 GVG und Rn 5 zu § 181 GVG). Die Zurückweisung des Nebenklägervertreters erschöpfte sich aber in ihren Wirkungen nicht in der von § 176 GVG intendierten Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung der Verhandlung; vielmehr berührte sie diesen in seiner Rechtsstellung als Rechtsanwalt durch die Festlegung der erforderlichen äußeren Form der Berufsausübung in der konkreten Sitzung sowie durch die bereits angesprochenen - auch ...

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