Leitsatz (amtlich)

Im Ermittlungsverfahren ist für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Allein auf Antrag des Beschuldigten ist allerdings ein Verteidiger dann zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.

 

Tenor

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwältin B. als Verteidigerin von Amts wegen beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Limburg führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung, Erwerbes und Besitzes kinder- pornografischer Schriften (§ 184b StGB).

Das Ermittlungsverfahren ist eingeleitet worden aufgrund der Erkenntnisse einer Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, die während laufender Hauptverhandlung von der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Limburg angeordnet wurde.

Das Verfahren vor der Kammer mit gleichgelagertem Tatvorwurf führte wegen Schuldunfähigkeit zum Freispruch; eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus lehnte die Kammer mangels Verhältnismäßigkeit der Maßregel ab (Landgericht Limburg, 5. große Strafkammer, Urteil v. 6.8.2012, Geschäftszeichen 4 Js 6194/11 - [...]). Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt und verfolgt ihren Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus weiter. In jenem Verfahren ist Rechtsanwältin B. als Verteidigerin von Amts wegen beigeordnet. Im vorliegenden Ermittlungsverfahren hat sich Rechtsanwältin B. mit Schriftsatz vom 7.8..2012 als Wahlverteidigerin gemeldet, verbunden mit dem Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin und der Erklärung, für den Fall der Beiordnung werde das Wahlmandat niedergelegt.

Die Dezernentin der Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 13.8.2012 gegenüber der Verteidigerin erklärt, es werde kein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Beiordnung gestellt. Nach näheren Ausführungen der Verteidigerin zur mangelnden Verteidigungsfähigkeit hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 24.8.2012 ihre Haltung beibehalten. Es sei angesichts der Revision im Verfahren 4 Js 6194/11 offen, inwieweit die Vorwürfe weiter verfolgt würden. Der Ausgang des Revisionsverfahrens solle abgewartet werden.

Die Verteidigerin ist dem mit inhaltlichen Ausführungen entgegen getreten und hat mit Schriftsatz vom 14.9.2012 beantragt,

die Sache angesichts einer Ermessungsreduzierung auf Null dem Vorsitzenden der Strafkammer zur Entscheidung vorzulegen.

Dies hat Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 20.9.2012 abgelehnt. Die versagte Antragstellung sei nicht anfechtbar; eine Vorlage sei daher nicht veranlasst. Die daraufhin unmittelbare Antragstellung der Verteidigung gegenüber dem Vorsitzenden der Kammer führte nach Anforderung zur Aktenvorlage - verbunden mit der weiterhin versagten Antragstellung hinsichtlich einer Beiordnung.

II.

Die Beiordnung der Verteidigerin im Vorverfahrens war auf Antrag des Beschuldigten auszusprechen (§§ 141 Abs. 4, 3 Satz 1 StPO), da in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO notwendig sein wird.

1. Es ist ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Verteidigungsfähigkeit richtet sich nach den geistigen Fähigkeiten, dem Gesundheitszustand und sonstigen Umständen des Falles. Geistige und seelische Gebrechen führen je nach Grad der Behinderung zur Pflicht, einen Verteidiger zu bestellen (vergl. OLG Hamm NJW 2003, 3286 - [...]). Eine Beiordnung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vergl. OLG Frankfurt StV 1984, 370 - [...]). Vorliegend ist eine Verteidigungsunfähigkeit aufgrund der Erkenntnisse zur Person des Beschuldigten aus dem Verfahren 4 Js 6194/11 offenkundig. Die Kammer hat im Urteil vom 6.8.2012 zum psychischen Zustand unter anderem festgestellt: Die Sachverständige Dr. M. hat ausgeführt, beim Angeklagten sei eine paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission (ICD-10: F20.04) zu diagnostizieren. Die Diagnose einer Schizophrenie stimme mit bereits früher gestellten Diagnosen überein. So habe der Facharzt für Psychiatrie Dr. B. im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung 1998 einen akuten Schub einer schizophrenen Psychose mit überwiegend wahnhaften und paranoiden Anteilen bei offensichtlicher Erstmanifestation (ICD 10: F20.0) diagnostiziert. Der seit 1999 behandelnde Psychiater und Nervenarzt P. habe 2009 und aktuell ein chronisches Defektsyndrom bei Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankung lebe der Angeklagte sehr zurückgezogen, habe weder private freundschaftliche noch sexuelle Kontakte. Bei der paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission handele es sich um eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB. Die Schizophrenie sei eine schwere psychische Störung, die kognitiv...

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